Sonntag, 17. Juli 2011

Die Zusammenhänge sind unendlich








SPIEGEL ONLINE Forum "Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"

November 2006





Mixolydian:
Der aus sich heraus schöpfende Genius, "a second Prometheus under Jove", wie Shaftesbury sagte, war ein Kind seiner Zeit. Selbstermächtigung des Subjekts, die unhintergehbare Vernunft und die daraus sich ableitende Verabschiedung mimetischer Kunstkonzepte haben den genialischen Künstler hervorgebracht. Der Geniekult ist also Ausfluss eines Paradigmenwechsels in der europäischen Geistesgeschichte. Das war vor ca. 220 Jahren. Und wie sieht es heute aus?

Das stolze Subjekt Goethescher Prägung hat seitdem, salopp gesagt, permanent die Ohren langgezogen bekommen. Darwins Evolutionstheorie, dann Freud, der frech behauptete, der Mensch sei nicht der Herr im eigenen Haus. Und seit dem 2. Weltkrieg ist die unbedingte Vernunftbegründetheit menschlichen Handelns endgültig kassiert. Damit hat auch eine Genieästhetik ausgespielt.

Beckett und Jarry haben das in ihren Werken beispiellos deutlich gemacht: Diese Welt ist eine verdammte Kloake, das Leben eine Krankheit zum Tode, sinnlos und leer, kurz: alles im Arsch!

Die Frage ist nun, wie man die Aporien unserer Zeit aushalten kann. Ausklinken via Regression? Das ist eine relativ mutlose Strategie, die zwar unangreifbar macht, aber auch jeden Zugriff auf das, was ist, und das, was kommen wird, unmöglich macht. Es steht zu viel auf dem Spiel (die Zukunft? das Leben an und für sich?), als dass man sich es in der Nostalgia eines untergegangenen Zeitalters gemütlich machen könnte.

Ich maße mir nicht an, ein Patentrezept für dieses Dilemma parat zu haben. Allerdings bin ich bis jetzt gut damit gefahren, die zeitgenössische Literatur nicht als Schwundstufe eines vergangenen goldenen Zeitalters zu betrachten, sondern sie ernst zu nehmen. Denn sie leistet, was sie leisten kann. Und das ist um so bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass sie natürlich auch gewissermaßen "Opfer" der (relativ) neuen Unübersichtlichkeit sowie der digitalen Revolution ist. Auf diese Weise an den Rand gedrängt, vermag sie jedoch endlich wieder subversiv tätig zu werden und ist so im Stande, neue Blickwinkel aufzuzeigen und damit etwas freizulegen, das uns in einer Welt, in der es scheinbar nichts Neues mehr geben kann, unvermittelt anblickt und vor Verwunderung erstarren lässt.










Entzückt, besonders über diese Schlußwendung Deines Beitrags.

Indes: daß der Mensch im Freudschen Sinne nicht Herr im eigenen Haus ist, schockiert ja gerade den Künstler nicht, der sich von den Rändern des Auf- und Abgeklärten fallen läßt. Vor einigen Monaten gab es hier eine Diskussion über den Begriff der "inneren Form" des Kunstwerks, den Goethe von Shaftesbury geklaut hat. Er besteht ja weiter, nur ist in ihm der Goethesche Gestus des klassisch beruhigten Überschauens und Anordnens, des apollinisch Gemilderten entbehrlich geworden. Daher glaube ich, daß die Entthronung des "Prometheus under Jove" nur von einem bestimmten Gestus handelt; auch gibt es natürlich einen Wandel im Verständnis der "inneren Form", aber der Begriff trägt noch immer. Der Tumult, den "Le Sacre du Printemps" am Abend des 29. Mai 1913 in Paris auslöste, hatte damit zu tun, daß ein ganzer Zuschauerraum in der Komposition Strawinskys, verstärkt durch die unerhörte Choreographie Nijinskys, keine "innere Form" mehr wahrnahm; die Wucht des Ganzen führte zum Zusammenbruch der ästhetischen Distanz. Das war einer der besten Skandale der Kulturgeschichte, zeigte er doch, wieviel Dissonantes und scheinbar Formsprengendes die innere Form verträgt.

Ich muß gestehen, daß mir die Unterscheidung zwischen "Klassikern" und zeitgenössischer Literatur schwerfällt; wenn ich "Der Meister und Margarita" lese, ist Bulgakow für mich mehr Zeitgenosse als manche Zeitgenossen. Aber das ist my own personal Idiosynkrasie, und wiewohl sich wenig Gegenwartsliteratur in meinen Umzugskartons befindet, sagt das überhaupt nichts gegen die Gegenwartsliteratur. Die Musen sind abgeschafft, der Musenkuß ist es nicht.

Literatur hat wohl immer schon aus Material geschöpft, das, gnadenlos subjektiv, der Goethe'schen Suche nach wohlgeordneter Gesetzmäßigkeit "die Ohren langgezogen hat". Kein Zufall übrigens, daß Goethe zeitlebens so an Gartenkunst interessiert war.

Das Unbewußte, Träume, Visionen, auch künstlich erzeugte, die autonom sich zusammenfügenden Sätze und Satzfetzen, die kurz vor dem Einschlafen durchs Hirn jagen können, das Zusammenkommen von Dingen, die eigentlich nicht zusammenkommen können (eine Art psychisch-kreative Synchronizität) – all dies, was uns zeigt, daß wir nicht Herr im eigenen Haus sind, hinüberzuretten und, wieder Herr im Karton, einzufügen in die "innere Form", das bedeutet: der kognitive Ablauf ist in der Dschungelhälfte, nicht in der Gartenhälfte, und irrt wollüstig erschrocken ins Phantastische. Metaphern wuchern aus gurgelnder Feuchtigkeit, jeden Schritt begleiten die absonderlichen Laute kopulierender Ideen. All das legt frei, was "vor Verwunderung erstarren läßt", neue Blickwinkel aufzeigt. Nochmal zu Shaftesbury: dieser selbst hat eigentlich betont, das obskure Objekt wissenschaftlicher Begierde, der Kosmos, wird letztenendes obskur bleiben. Unwiderlegbar: nur ein unendliches Wesen könnte unendliche Zusammenhänge erkennen. Wissend aber, daß die Zusammenhänge unendlich sind, ist es an uns, zu zeigen, daß es immer Neues gibt, geben muß. Es gibt keine Welt, nur ihre Beschreibungen.

Es gibt nur ein paar Geschichten, aber jeder erzählt sie anders. Und es gibt, wie Lessing sagt, die "Begierde, gerühret zu werden". Es gibt 97 Arten dieser Begierde und 97 Arten des Gerührtwerdens, aber ich fand, das war immer ein ganz guter Maßstab: sind wir völlig umgerührt, war es große Kunst.









Mixolydian:
Wow! Punktlandung, Aljoscha! Das war ein sehr einleuchtender Exkurs, dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Ach ja: hier kann einer ernsthaft schreiben...
































Samstag, 16. Juli 2011

Christina













Meine Halbschwester, zur Prinzessin gewählt, mysterious paper crown smile, sad saints on her dress, 
all I ever saw. Sie fiel wie Sandy Denny.
 
 








Are those halos in your hair
Or diamonds shining there
Before I go I'm hangin' a cross on the nail
I hung one for you in there
And every kingdom of rain comes pourin' down
Cause I loved you so long




















Sonntag, 10. Juli 2011

Paris Graves: Sarah Bernhardt















Cimetière du Père Lachaise


Photo C. E.


















Vorweihnacht mit Cured Catherine (4): Liebespakt, Schatten des Windes, Control














Und, haben Sie vorhin "Der Liebespakt" gesehen, "Les Amants du Flore"? Hat es Sie über Schwarzersche Impertinenz hinweggetröstet? Ich war sehr beeindruckt, warum eigentlich wird erst jetzt ein Film aus dieser Geschichte? Lorànt Deutsch sah Sartre so ähnlich, daß es fast zum Lachen war. Anna Mouglalis, halb Jane Birkin, halb Nofretete, Lagerfelds Chanel-Gesicht hat da für einen sehr strengen Glamour gesorgt, den Simone zu ihrer Zeit vielleicht ebenfalls ausstrahlte. Wunderschön, geradezu unheimlich, diese kurze Szene, dieser side view auf der Straße, als beide wohl der Sorbonne entgegenstreben, und man sieht hinter dem damenhaften, aufrechten Gang der bedeutend größeren Simone nur Sartres vorgebeugten Oberkörper, seinen Kopf, der dem Körper so energetisch voranstürmt, als zöge er ihn hinter sich her. Wunderbar auch die Meskalin-Szene: "Die Languste! Sie ist riesig! Passen Sie auf!" – "Sie verhalten sich wie ein Dorftrottel."

Billy Corgan: "I'm a Pisces, and Pisces have this weird inability to be completely spontaneous. We're too conscious of our actions. I've always been way too sensible for my own good." Saturnischer Ernst ist etwas ganz anderes, hat sehr viel mehr mit Selbstdisziplin zu tun, mit einem Gefühl für Würde, und auch mit einer seltsamen Positionierung in der Zeit. Nicht nur wurde der Begriff "in the long run" entweder von einem oder für den Capricorn erfunden, was vielleicht auch Simones Entscheidung für den Pakt beeinflußte; er hat auch einen unauslotbaren Bezug zu Vergangenheit und Zukunft, etwas seltsam Panoramisches ist darin.

Und so ist denn vielleicht des Steinbocks Idealismus aus Blei gemacht, aber seine illusionslose Stärke führt viel eher zum Ungeahnten als die Träume hochfliegender, aber seichter Geister. Auf jedem Gebiet, ich schwör’s nochmal bei Heidegger; doch Sartre drückt das in dem Moment sehr gut aus, als er beeindruckt von Simones "Le deuxième sexe" zu ihr sagt: "Ich wollte die Welt verändern, aber Sie haben es gemacht."

Nein, keiner weiß genau, welche Rolle er im Leben eines anderen spielt, aber zu Ihrer Rolle in meinem Leben gehört es gerade, mich an die Bedeutung dieser beiden in meinem eigenen Dasein zu erinnern. Schrieb an der Uni eine Arbeit über das Verhältnis von Sartre und SdB zu Sterben und Tod. Sartre formuliert eine Haltung mit scharfer intellektueller Kälte und hält sie durch: der Tod berührt das Leben nicht. SdB schreibt in Wellen darüber – vom "metaphysischen Ärgernis" zum Mitleiden mit "Maman". Das Beschreiben des Anderen – das tiefe Empfinden für den Anderen. Sartre hielt "Ein sanfter Tod" am Ende für Simones bestes Buch.

Der Film zeigte sehr schön, wie es im Wagnis dieses Pakts nicht ohne Verletzungen, Eifersucht, Ressentiments geht. Wie auch Algren das tiefe Empfinden für den Anderen auf einer bestimmten Ebene für Simone entfesselt. Wie es plötzlich heißen muß: "Ich liebe ihn, ich habe keine Wahl." Und doch gab es diese Ebene, auf der diese beiden sich verstanden wie sonst niemand: als wäre einer ohne den anderen einfach nicht ganz wahr gewesen.

Ich versuche, gegen meine Natur, mich kurz zu fassen, und möchte daher nur sagen, daß Ihre Beschreibung der Geigenstunden mich sehr bewegt hat, und daß Sie darob den Roman erneut hervornahmen, ist das größte Kompliment, das Sie einem Autor machen können, der darauf besteht, in seinem Werk vollkommener Realist zu sein, auch wenn es der Realismus von wenigen sein mag. Vielleicht werden Sie einmal von dieser Zeit sagen, es sei die verwunschenste Ihres Lebens gewesen – und eine der bedeutendsten. Denken Sie daran: man hat Zukunft wie noch nie, wenn die Gegenwart bedeutsam ist wie nie.

Vielleicht waren Sie ja heute auch im Kino und haben "Control" gesehen? Gestern war doch wohl D-Premiere?

Sic, ich werde bei den Smashing Pumpkins sein; wie es dazu kam, - ist wieder ein Fall, an dem die Ratio versagt.










"Sie ist ja emsig. Und wie Sie arbeitet – wie ein kleiner Biber."
Oh ja, ich habe ihn gesehen, complete happiness und in meiner Kühnheit habe ich gehofft, Sie hätten ihn auch gesehen. :) Ich war sehr skeptisch, nun überzeugt. Eine bezaubernde Beauvoir und ein nerviger, aber genialer kleiner Sartre, so ähnlich kann es gewesen sein. Mich beeindruckte speziell die Szene, in der Sartre Simone in dem Café aufspürt, nachdem er sie mit der Amerikareise hintergangen hatte. Apart from all that rubbish konnten sie gar nicht anders als sich wieder gemeinsam in die Arbeit und das Reden zu stürzen, unaufhaltsam trägt der Redefluß beide mit sich fort in ihre gemeinsame Welt. Berauschend. Ja, und das, was Sie inhaltlich zu der Szene schrieben, würde ich genauso unterschreiben. Wobei Sartre selbst es war, und das wurde im Film nicht erwähnt, der sie zu dem Buch inspirierte. "Sie vergessen, dass Sie eine Frau sind, schreiben Sie darüber." So sagte er und daraufhin tat sie es. Dies bleibt unerwähnt und gibt dem Film etwas Filmdramatik, weil man nicht ganz leicht erkennt, warum sie einander so viel bedeuteten, meinen Sie nicht? Vor allem beeindruckte mich auch die unglaubliche Detailliebe. Kleidung, Farben, Gegenstände, Bemerkungen, Umgebungen.

Warum erst jetzt. Vielleicht hatte es etwas mit rechtlichen Besitzansprüchen zu tun, aber ich habe schon auch den Eindruck, dass es wieder eine Hinwendung zu den großen Denkern und den Denkerinnen gibt, weil der eine oder andere sich zu fragen beginnt, was man der immer absurderen Verdummungsindustrie entgegensetzen kann und muß. Kürzlich wurden sämtliche BBC-Verfilmungen von Jane Austen auf DVD veröffentlicht. Eigentlich erstaunlich, da sie seit Jahren nicht im TV liefen. Die Nachfrage ist aber da, und eine Stolz und Vorurteil-Verfilmung mit Keira Knightley mit alternativem Ende für die phantasiefreien Amerikaner kann der BBC nicht das Wasser reichen.

Es trug sicher zum Bestehen des Paktes bei, dass Simone de Beauvoir capricornish dachte und fühlte. Sie war es auch, die ihn nicht heiraten wollte. In ihren Memoiren ist es anders als im Film festgehalten, dass er sie vor Kriegsbeginn sehr wohl heiraten wollte. Sie lehnte ab. Ob sie ahnte, was sie der Zukunft, den Frauen geben würde? Sie sagt im Film: Ich liebe ihn, ich habe keine Wahl. Aber sie tut es nicht, weil sie doch eine hat. Sie geht nicht mit Algren, sie geht nicht nach Amerika, sie kann ihn nicht überreden, in Paris mit ihr zu leben. Weil es auch Rache war an Sartre, auch Eitelkeit, auch Fremdheit zwischen ihr und Algren. Die Beziehung war eigentlich schon wieder zu Ende gegangen, bevor Algren nach Paris kam. Es war zu spät. Sie war schon angekommen bei sich, ihrer Identität, ihrem Platz in der Welt. Sie war Schriftstellerin und musste diesem Ruf folgen, mehr als dem der "Liebe", die neben dem Pakt, ihrer Position und ihren Aufgaben nicht standhalten konnte.

Doch war sie am Ende ihres Lebens nicht ganz zufrieden mit dem, was sie erduldet hatte und was sie den jeweils Dritten zugefügt hatten. So ist der Pakt ein unglaublich mutiger und revolutionärer Versuch einer anderen Zeit und ich frage mich, auf welche Weise er optimiert werden müsste, nein, streichen Sie optimiert, nein, eher, wie es gehen könnte, so etwas, ich weiß noch nicht, aber es muß anders gehen, irgendwann, mal sehen... ich denk nochmal drüber nach... 2 Uhr 58. ;)
Ich habe noch nicht die richtigen Worte für das, was ich für die Beiden empfinde. "Geistige Eltern" wäre anmaßend, aber wünschenswert.

"Control" entließ mich mit weit aufgerissenen Augen aus dem Abaton stolpernd in eine Nacht monotoner Bassläufe; unsichtbares Weinen über Verlorenes, Vergangenes und Verweilendes; Kerzenlicht, Bier und Joy Division; Denken an Jugend im Plattenbau, entfliehen aus Enge, Dummheit, Langeweile; der Wunsch, die Welt in schwarz-weiß zu sehen und London der späten 70er; unrettbar Sam Riley verfallen, für seine Art, Ian Curtis zu sein, sich zu bewegen, sein Blick directly into the heart. Köstlich: Grönemeyer in einer Nebenrolle. Der Film ist grandios!
Confusion in her eyes
That says it all
She's lost control 










So war es, nichts konnte standhalten gegenüber diesem Pakt, es ist ohnehin die Zeit, in der sich diese Erkenntnis durchsetzt, Jeordie ist wieder Twiggy und zurück bei Manson. Interessant ist, wie auch Manson die Zeichen am Wegesrand deutet: der Moment, in dem Page und Plant sich in der 02-Arena bei "Stairway To Heaven" einen Blick zuwarfen, war offenbar der trigger-Moment für MM, in dem er wußte, es muß so sein. – Ob es so sein mußte, ist eine andere Frage.
Nach Ihrem Taumeln durch eine Nacht monotoner Bassläufe bin ich noch gespannter auf "Control".
 
 
 
 
 
 
 
 

"The turning point for me was when I went to see Led Zeppelin's reunion show, and I saw Jimmy Page and Robert Plant look at each other for a moment, and they probably said, 'Holy shit, we wrote 'Stairway To Heaven'." - Marilyn Manson

Just back from Control.










Manager nach Ians epileptischem Anfall auf der Bühne: "Could be worse. You could be singer of The Fall". :)

Es scheint, als sei seit Control alles ein wenig verändert. In keinem anderen Film wurde mir vorher so deutlich, dass meine Haltung dem Leben und der Gesellschaft gegenüber unter anderem, aber vor allem auch diesen Wurzeln und dieser Musik, dieser Zeit entsprungen ist. Control kam im rechten Moment, um mich durcheinander zu wirbeln. Ihrem kurzen Satz vom 22. entnahm ich eine bei Ihnen offensichtlich ähnliche Erreichbarkeit? Das Wetter tut seinen Teil dazu, wie oft wurden Sie durchs Wasser gezogen in den letzten Tagen? Keine Winkzeit.:)

"Der Schatten des Windes" beeindruckte mich mit geradezu genialer Technik, brillanten und humoresken Einfällen und einer großartigen Figur: die des Fermín. Wer wollte nicht so einen guten und gewitzten Freund an seiner Seite? Gewisse Teile der Handlung störten mich allerdings. Die Geschwister-Lösung schien mir unmöglich und allzu feenhafte Frauenfiguren irritieren mich immer. Ich weiß nicht mehr, wo ich es kürzlich las, aber Frauen haben sich keine solchen idealisierten Ikonenbilder von Männern geschaffen und jeder Versuch, dies nachzuholen, scheitert an der nicht vorhandenen Basis einer solchen Kultur, auf der eine männliche Sichtweise der Frau beruht. Sonst aber ein sehr spannendes Werk, das mich natürlich nicht losließ. Erinnerte mich auch ein wenig an Pascal Merciers Nachtzug nach Lissabon, den zu besteigen ich Ihnen auch unbedingt empfehle. 










Seit ich, mit 5 oder so, Michel Polnareff "Meine Puppe sagt non" im TV singen sah, die Melodie mich in Wehmut stürzte und ich über sprechende Puppen nachdachte, besteht meine "Erreichbarkeit" durch Musik, die immer mehr ist als nur Musik, wahrscheinlich im permanenten Durcheinandergewirbeltwerden, ein ständiger Veitstanz, den ich nur verdecke. Ich wäre nicht ich ohne Musik. Übrigens wäre auch "Aljoscha der Idiot" nicht "Aljoscha der Idiot" ohne Musik. Damit meine ich jetzt nicht den "griechischen Chor". – "Control" ging aus bestimmten Gründen fast zu sehr unter die Haut, und um dazu den Abstand zu wahren, schreibe ich Ihnen lieber, was ich im SpOn hinterließ. Gleich.

Fermin möchte man stundenlang zuhören. Ein sehr bewegender Geist der Solidarität weht durch die ganze Geschichte, von der Art, wie Daniels Vater seinen Sohn anblickt, ahnend, in welchen Bredouillen er sich herumtreibt, doch vertrauend darauf, daß sein Sohn das Richtige tun wird; über die Art, wie Nurias Vater die Tür zu der verborgenen Bibliothek öffnet, dabei zu Fermin sagt: Sie wissen wohl, daß Ihr junger Freund hier ein Verrückter ist, und dabei nichts Zärtlicheres über Daniel hätte sagen können; bis zu der Art, wie Fermin dem Alten im Asylum eine Blondine verspricht. Wie Miquel heimlich die Druckkosten bezahlt etc.

Man wünscht sich hinein in die Geschichte und, Sie sagen es, direkt an die Seite Fermins. Daniels ironischer Tonfall schien mir am Anfang etwas zu cool für sein Alter, geradezu hard-boiled, aber er wird im Lauf der Dinge derart weichgekocht, daß es sich sozusagen ausgleicht; die Geschichte hat die Macht, daß einen alles möglicherweise etwas Fragwürdige (aus den bei den systematischen Nachforschungen von Daniel und Fermin zögernd bis widerstrebend vorgetragenen Erinnerungen werden seitenlange, etwas unglaubwürdig detaillierte Nebenerzählungen) nicht die Bohne interessiert. Aber das Wichtigste ist ohnehin: der geheime Plan hinter allem. Das Buch wählt Daniel. "Niemand hatte es bemerkt, aber wie immer war das Maßgebliche bereits entschieden, bevor die Geschichte auch nur begonnen hatte." Kurz, bevor man mir Zafón in die Hand gab, begann ich eine Geschichte mit: "Tatsächlich ist der Augenblick, in dem eine Geschichte ihren Lauf zu nehmen scheint, nur wie das Auftauchen der Seeschlange, die schon seit Äonen durch die Ozeane gleitet."

Auf mich regnet es sowieso aus einer mitschwebenden Privatwolke, darum ist mein Zug durchs Wasser nicht weiter der Rede wert. Erneut muß ich Ihnen aber, aufgrund Ihrer Überlegungen zu idealisierten Ikonenbildern, ganz dringend Camille Paglia empfehlen. Wie mein Freund Jörg Vollmer (10) über den Brockhaus sagte: "Da steht alles drin von der Welt." In den Nachtzug nach Lissabon werde ich mich vermutlich dann auch wünschen.

Now.

Wenn man Curtis auf "Isolation" hört, das Album dann mit "Heart And Soul" in Geisterhaftigkeit abdriftet, der ewige Kampf dieses 23jährigen schließlich in der bleakness von "The Eternal" und "Decades" endet, wenn man versucht, sich die "Stroszek" / Iggy Pop "The Idiot"-Nacht vorzustellen: noch immer gibt es in der Musik wenig, was so unter die Haut geht wie "Closer", zwei Monate vor dem Suizid aufgenommen, posthum veröffentlicht.
Corbijn hätte viel falsch machen können, aber er hat alles richtig gemacht, angefangen mit der Besetzung. Sam Riley ist großartig.

Die beiden unberührbaren Monolithen "Love Will Tear Us Apart" und "Atmosphere" verbleiben im Original, aber wie Riley "Dead Souls" singt, verursacht Gänsehaut. Auf der Bühne ist er wie eine bewegte Montage aus allen Bildern, die man je von Ian Curtis sah. Das Haus in der Barton Street. Es hatte immer etwas Seltsames, daß gleich zwei der Originalmusen, die Muse der rätselhaftesten Schönheit von Songlyrics und die Muse der unausweichlichen Tragödie, in diesem Macclesfield Lower Middle Class-Bau hausten, in diesem Schauplatz der verzweifelten Sehnsucht einer jungen Frau nach dem kleinen Glück mit den schrecklichen Gardinen und der schrecklichen Vase auf der schrecklichen Kommode, und doch war es aufgehoben in der Unmöglichkeit, ein Joy Division-Stück zu beschreiben: Schauplatz der Nichtkommunizierbarkeit. Eine der bewegendsten Szenen: wie Riley / Curtis nur schweigend den Kopf senken kann vor Debbies Tränen: "Who's Annik? Hey? How long have you been seeing her? Answer me, Ian! Don't ignore me! I don't deserve this... I don't deserve this...". Nur in der Einsamkeit der Kunst war die Antwort möglich: "Atmosphere".
Corbijn war behutsam genug: Annäherung gelungen, das Enigma bleibt.










Na na, your own personal cloud, hm? Da ich über die staatliche Erlaubnis zur Führung der Bezeichnung Krankenschwester verfüge, verordne ich als solche Schopenhauer in hohen Dosen. Es gilt: viel hilft viel! "Für die Menge habe ich nicht geschrieben... Ich übergebe also mein Werk den einzelnen denkenden Wesen, welche als seltene Ausnahmen im Laufe der Zeit erscheinen werden und denen zu Muthe seyn wird, wie mir war, oder wie dem Schiffbrüchigen auf der unbewohnten Insel ist, dem die Spur eines früher dagewesenen Leidensgenossen viel mehr Trost giebt, als alle Kakaduen und Affen auf den Bäumen..."

Ian / Sam in seinem Zimmer mit der neuen Bowie-Platte und später, als Debbie das erste Mal in sein Leben tritt und er sagt: If you dont smoke you can't be in my gang, Debbies I don't want to be in your gang und Ians Me too - Control lässt diejenigen, die erreichbar sind, sprachlos zurück, ich sehe und höre es. Und wenn man die Sprache wieder findet, gibt es eigentlich niemanden, der aushalten könnte, was es zu sagen gäbe. Schon gar nicht die, denen der Film entging, obwohl sie ihn sahen. (Imaginieren Sie an dieser Stelle einen genervten Blick und schreiben Sie diesen meiner eigenen schopenschaurigen Stimmung zu.)

Andere wiederum sehen den Film gar nicht erst, aus Angst, er könnte sie zu sehr berühren, was ich wenigstens als Zeichen von Konsequenz werten kann. Zu Ihrer und Aljoschas Erreichbarkeit, erinnern Sie sich vielleicht noch daran, dass ich einmal sagte, Sie müssten die CDs eigentlich mitliefern. :) Wußten Sie, das Grönemeyer Corbijn zu dem Film überredete?

Mit 5 (oder 7) hörte ich Mireille Mathieus "Hinter den Kulissen von Paris" hingebungsvoll und hoffte, das Leben würde eines Tages so interessant, wie sie versprach.

In Zafons Roman liegt Spanien von hier aus gesehen genau hinter diesen Kulissen. Ja, der bemerkenswerte Zusammenhalt und die Geschichte, die sich nicht nur entwickelt, sondern auch entspinnt. Und welchen Schmerz die Figuren bereit sind auf sich zu nehmen. Carax, aber auch Nuria und Miguel. (Sie schreiben es: man wünscht sich in die Geschichte. Dies schrieb ich eigentlich über Control, aber ich strich es wieder, warum auch immer.) Ob Solidarität eine spanische Kultureigenschaft ist? Undeutsch jedenfalls. (Schopenhauers Schimpfen über deutsche Dummheit belustigte mich auf befreiende Weise, außerdem seine Meinung über Hegel, aber das ist ein anderes Thema.) Im Nachtzug klingt ein gewisser Zusammenhalt auch an, vielleicht eher portugiesisch verhalten.






















Dienstag, 5. Juli 2011

Vorwitz & Verstrickung (3): Ein Tag im Mai






London Tower schwere Glocken
Das Urteil ist gefällt
Sie führen die junge Frau über den Hof
Anne Boleyn hineingetanzt in den Palast vor Jahren
Schwarzäugig & leichtsinnig
Nun wehrlos & verlassen
Verwöhntes Kind sie haben dich
Du bist das Opfer von Intrigen
Des Königs Zorn ist dein Tod
Das Volk ist feindselig
& voll kalter Neugier
Sie sind hier
um die Königin sterben zu sehen
& es wird kein Mitleid geben
& keine Tränen
Wird es wehtun, fragt sie den Konnetabel
Man sagt, der Henker aus Calais versteht sein Fach,
erwidert der Konnetabel gesenkten Hauptes
& auch er läßt sie mit ihrem Leid allein
Er gibt ihr Handgelenk frei vor dem hölzernen Schafott
& ihr Blick fällt auf den Sarg auf ihren Sarg
Die Ornamente
Die Inschrift
Hinauf jetzt! bedeutet die Hand die ihren Arm preßt
Matt & langsam & Stufen zum Tod
Sie sieht den Kronrat den Lordsiegelbewahrer
Cromwell du Kröte
Auf den Knien das letzte Gebet
Der Henker hebt sein Beil
& jetzt endlich begreift sie
& wirft jäh ihren Kopf herum, Frage und Furcht in den Augen –
"Mon Dieu, sie sieht mich an! Lenk sie ab!"
& der Henkersknecht streckt seine Hand nach ihr aus
& ihr fataler Reflex
& Kanonendonner Sekundenbruchteile später
& Heinrich der Achte, zu Jane Seymour reitend






























Mansinthe













Dienstag, 28. Juni 2011

The Raveonettes - Ignite



















Video by me.



















Vorweihnacht mit Cured Catherine (3): Sabotage sabotieren








Eine Vergangenheit ist nach wie vor Gegenwart. Ich bin nicht sicher, ob ich verstehe, was Sie meinen, aber es ist wohl so, dass ich es auf eine Art bejahen würde. Manche Vergangenheiten bleiben oder werden Gegenwarten, unabhängig von Zeit und Ort des subjektiven Erlebens und Aufenthalts. Was ich meinte, war, dass ich dazu neige, mich an Unannehmlichkeiten weniger deutlich zu erinnern als an freundliche Erlebnisse, ein Prozess, den ich unter Aufbietung von Perspektivwechseln aufzuhalten suche.

Ich kann mir nur wenige Vergangenheiten vorstellen, die eine objektive Macht besäßen. Diese müssten sehr tiefe Gravuren hinterlassen haben, nicht wahr? Was mich umtreibt, ist die Auseinandersetzung mit dem Leben, das nicht gelebt ist. Otto Rank sagte, dass manche Menschen die Schuld des Todes so sehr fürchten, dass sie das Darlehen des Lebens ausschlagen.

Die Angst, das Leben aufzubrauchen. Ich habe die Wahl, ob ich das meiste aus dem Leben mache, das noch vor mir liegt, oder ob ich weiter so tue, als würde der Tod nie kommen. Verstehen Sie, das geht weiter als "Carpe diem", es hat sich ein hohes Maß an Vermeidung eingeschlichen, war in mehrfacher Hinsicht immer da und ich werde mir mit Schrecken darüber bewusst.

Ich kenne das Gefühl, im Traum aus einem Traum zu erwachen. Die Adaption an die Realität beim wirklichen Aufwachen fühlt sich dann an wie eine schwere Wolldecke, unter der man hervorkriecht und das Staunen über die veränderte Umwelt, die genauso ist wie zuvor. An Landschaftsträume erinnere ich mich nicht, was, glauben Sie, bedeuten die Landschaften? 
 
Cocteau Twins :). Es sollte heißen: "When Mama Was Goth".










Ich war kryptisch und werde es bleiben müssen, vielleicht macht es ein wenig mehr Sinn, wenn Sie die verschiedenen Zeitebenen, die ich beschrieb, mit Personen und deren Präsenz (objektive Macht) identifizieren. Eine Gegenwart, die zu groß und zu bedeutend ist, um je Vergangenheit zu werden, auch wenn man daran glaubte - derzeit sitze ich auf my own personal Saturnring und frage den Vollmond, wann ich aufhören kann, ihn anzuheulen. Otto Rank? Das ist doch "Doppelgänger"-Rank? Unter besagten Schiffsladungen zum "Horror" müßte sich das irgendwo befinden. "Besagt" in jenem Interview, das man mit mir führte, meine ich. Gleichwie: was mir fehlt, ist eine bestimmte Art von Skrupellosigkeit. Vielleicht fehlt Ihnen eine andere? Skrupellosigkeit darin, die Schuld dem nicht gelebten Leben gegenüber zu begleichen?

Was Sie sagen, zum tiefer als "carpe diem": keine Zeit mehr fürs Zweitbeste. In der Kunst nicht und im Leben nicht. Aber eben deshalb, weil es so viel Bestes gibt.

Grüßen Sie Ihre wundersame Prinzessin doch bitte von mir, sofern sie sich noch erinnert.










Ihre Krypten sind verständlich, überraschenderweise verstehe ich meine Position nicht als eine, in der mir etwas anderes zustünde, als zu wünschen, dass es Ihnen wohl ergehen solle.

Sie berichteten vom "Horror" in einem Stiegenhaus. Ich erinnere mich. Und auch die Wundersame, die keine sein will. Sie nahm Ihren Gruß huldvoll entgegen, enthielt sich aber in höfischer Manier einer Antwort.

Keine Zeit mehr fürs Zweitbeste, ja, das trifft es mehr als Sie ahnen. Mit dem Unterschied, dass es auch kein Bestes gibt. Es gibt nur diese Aufgabe, die mir systemisch zuteil wurde. Die beigelegte Isolation wiegt schwer auf Schultern, die vieles tragen müssen. Der Versuch, der existentiellen Isolation zu entkommen, scheiterte jüngst an einer falschen, zweitbesten Lösung dieser unlösbaren Grundtatsache des Lebens und so beneide ich Sie fast. Nicht um den Zustand, sondern um die vermutlichen Gründe, die den Mond als Zuhörer fordern. Skrupellosigkeit, ein schönes Bild. Verpflichtung und Erfahrung rauben ihr den Atem.

Ich befürchte Schlimmes für die ausstehende Veröffentlichung der Herren Smith / Gallup / Cooper/ Thompson, obwohl es nach der letzten nur besser werden kann, wie Stimmen unkten.










Glauben Sie denn an unlösbare Grundtatsachen des Lebens? Ich fürchte, wenn gilt, man kann nie sicher sein, dann auch nicht hinsichtlich existentieller Isolation. Wissen Sie, wie Montaigne "diesen scheinbaren geistigen Zusammenhang, den jeder sich in seinem Inneren zurechtmacht", nannte? Vernunft. Unsere Vorstellungen von uns selbst, sie stehen wie Minotauren im griechischen Hain herum, und wenn es unvernünftig ist, jeden Tag einen Minotaurus wegzuschieben, bitte. Manchmal sind scheiternde Ausbruchsversuche ja nur vordergründig ein Scheitern, und das Loch ist da. Und wenn es nicht da sein sollte, kann man es immer noch hin-sehen. Wie sagt Bebuquin, auf kippligem Barstuhl balancierend: "Darum, meine Damen, werden so viele verrückt. Wir entbehren der Fiktionen, der Positivismus ruiniert."
 
Aber wie Sie mir mal im Hinblick auf meine Vorschläge, was Marilyn Manson tun sollte, sagten: Sie haben es nötig.

Sie meinen "The Cure" von 2004? Ich müßte sie mal wieder hören, aber wenn ich mich recht entsinne, war es teilweise ein recht enthusiasmierendes Getöse. Sie kam mir erst kurz vor meinem Exodus zu Ohren, und die Mütze, die unter der Mütze hielte, was mir seitdem über den Kopf wächst, existiert noch nicht.

Hat das System, das Sie systemisch nennen, sozusagen einen Titel? Oder ist es eher leitmotivisch? 










Hm. Ich glaube eigentlich an gar nichts und somit auch wieder an alles. Ich gehe mit der Grundtatsachenvorstellung spazieren, weil sie tatsächlich einen gewissen Trost beinhaltet. "Wenn du auch allein in deinem Boot sitzt, ist es doch beruhigend, die Lichter der anderen Boote vorbeiziehen zu sehen." Und, ja, andere Grundtatsachen des Lebens sind nach Yalom die Unausweichlichkeit des Todes und die Freiheit (sich zu Bedingungen zu verhalten...). Auf Basis seiner Theorie behauptet er unter anderem, dass unausgegorene Versuche, der Isolation zu entkommen, Beziehungen zu anderen Menschen sabotieren. Und davon kann ich ein Gesamtwerk singen. 
 
Das Scheitern ansich ist unproblematisch vertraut, aber wenn ich die Minotauren auch derzeit verschiebe wie Güterzüge im Verschiebebahnhof, dann sind da immer noch "die Anderen", zu denen keine Brücke geschlagen ist. Eine tragfähige Brücke. Fundamente im Baumarkt nicht lieferbar. Aber Ihre Frage ist berechtigt. Glaube ICH oder glaube ich nur, was geschrieben steht, weil es bequem oder gar tröstlich ist? Verstellt die Trostsuche den Blick auf oder in? Positiv ist, dass ich darauf keine A-Dur Antwort mehr finde. Sicher ist, dass ich etwas zu verändern suche, was Sie mir einmal sagten: Wir sprechen immer nur von mir. Wir sprechen nie von Ihnen. Womit Sie einen Schutzmechanismus entlarvten, der eben diese Sabotage bedeutet. Fiktionen sind mein Leben seit 200 Jahren, mitunter wäre etwas mehr Positivismus gar willkommen. Ah, non. "Es wäre alles noch viel schlimmer ohne Fußball und Dosenbier." (Lotto King Karl)

Gute Mützen sind schwer erhältlich und Stricken gehört auch nicht in mein Repertoire. Ich weiß schon. Würden Sie den Exodus denn gern rückgängig gemacht haben wollen können werden?
 
The Cure von 2004 hörte sogar ich - und das ist bedeutsam - nicht so oft, dass ich alle Texte auswendig könnte.

Systemisch nennen wir Seelenforscher - hüstel - die Einordnung des Einzelnen in ein System (in aller Regel die Ursprungs- später auch, wenn vorhanden, die Kernfamilie). Da das System nun mal mächtiger als der Einzelne ist, verfehlt es seine Wirkung auf dessen Entwicklung nicht.










Während zuviel von sich zu sprechen dann bedeuten kann, daß man plötzlich zuviele Brücken gebaut hat, aber mit der Vorstellung, die dann vom Genie des Baumeisters besteht, nicht eins werden kann. Rückgängigmachen des Exodus ist derzeit nicht möglich. Und doch stellt sich mir, wie Sie bemerkt haben, die Frage nach Macht und Verbleib gemeinsam geschaffener Universen. Wir hatten so sehr eine eigene Sprache, daß, wenn wir auf den Dachboden gestiegen sind, wo sich der Eierkopp-Nachbar gerade friedlich ein Schüßchen setzte, dieser nach 10 Minuten Mitanhörenmüssen von Beaumarchais-Gespräch entnervt sein Refugium verließ.

Ah, und geht es nicht letztlich darum, jemanden zu finden, der die eigenen Fiktionen schon seit weit über 200 Jahren teilt und versteht? Daß dies möglich ist, kann ich wiederum unter Positivismus verbuchen. Allerdings entsteht auch daraus ein System, das mächtiger ist als der Einzelne, scheint mir, auch mit der Eigenmacht negativer Kräfte, gegen die noch 200 Jahre ankämpfen zu wollen vielleicht aber, wenn die Alpträume ein Ende haben, der letzte Beweis der Liebe ist.

Die Sabotage der Schutzmechanismen ihrerseits zu sabotieren, Tagesbefehl Nr. 2 an die Kunstarmee. Die Angst selbst ängstigen mit dem, was sie nicht vorhergesehen hat. Der Zweifel hält ständig seine Kamera auf uns, aber wir können noch die Bilder zerreißen. Jeder Heutehammer will das Examinieren der eigenen geheimsten Wünsche zermalmen: verweigern wir uns.










Verzeihen Sie, dass ich gestern nicht stoppte, aber ich war in Gedanken und Eile. Es ist immer so, nun ja, Sie wissen schon (Vgl. The Cure, Cut Here, Zeile 15-18). Ich sinnierte über einen Nietzschesatz. Der Schlüssel zu einem erfüllten Leben liege darin, das Unumgängliche zu wollen und dann das Gewollte zu lieben. So ging der Satz in etwa. Ein wichtiger Satz, aber wem sage ich das, Sie schrieben ein Buch darüber. Eigentlich vertragen sich solche Gedanken schlecht mit der Teilnahme am Straßenverkehr. Zumal die Teilnehmende derzeit wiederholt Extrem-Multitasking betreibt und sich die Wirklichkeit mitunter als ganz unwirklich ausnimmt. Ich versinke in mir und bin nach außen nur sichtbar, weil es nicht anders geht.

Wissen Sie, dass Dachböden für manche Seher die Zukunft symbolisieren? Keller stehen für Vergangenheit. Mehr als eine Dekade Fiktionen und Sprache zu teilen und darin mehrere Jahrhunderte zu vereinen, ist ein mächtiges System und ich wünsche Ihnen ernsthaft Streichhölzer. Setting fire to bridges, boats and all the dreary worlds, you know.

Geht es wirklich für Jeden darum, jemanden zu finden? Zunächst plage ich mich damit, ein "So war es" in ein "So wollte ich es" umzuschaffen. Ich wäre dann, meine ich, frei, die zu werden, die ich bin, was unbedingt vor dem Finden des Gegenübers steht.

Die Angst ängstigen... die Bilder des Zweifels zerreißen! Welch glückliche Wortverbindungen – ich danke Ihnen!










Trotzdem glaube ich ja, daß konzentrierte psychische Energie die Wirklichkeit zu irritieren vermag, und das muß dann auch wieder ins Phänomen "Bestimmung" integriert werden. Besser jedenfalls, aus Insichversinken unsichtbar zu sein, als aus Vagheit. "Dieser Nigel ist so vage, daß er schon fast unsichtbar wirkt." (so ungefähr jedenfalls, John Osborne, Blick zurück im Zorn).

Nein, daß Dachböden und Keller verschiedene Zeitebenen symbolisieren können, wußte ich nicht. Heute nacht träumte ich, daß ich ein entscheidendes Fenster im Philosophenturm aufriß, in luftiger Höhe, was den ganzen Betrieb durcheinander brachte, und ich dann den Rest der Nacht durch einen kafkaesk expandierten Philosophenturm von Versteck zu Versteck jagte, damit die aufgebrachte Meute mich nicht findet. Ich entkam.

Der intensive Wunsch, erst ein Selbst zu schaffen, mit dem man einem Gegenüber ohne "I'm not match" gegenübertritt, erinnert mich an Pjotr. Und es ist auch mir sehr gut vertraut. Indes, mittendrin kann es geschehen, daß jemand kommt und dir das Werden, was man ist, nicht mehr überlassen kann, weil er dich, take the Heidegger term and run, entbirgt.

Derzeit auf dünnem Eis, das manchmal geräuschvoll kracht, und ansonstem mit einem rasenden, leicht unverständlichen Austausch von Keller und Dachboden beschäftigt, als wäre Zeit ein Buster Keaton-Film, widme ich die Stunde des Wolfes derzeit Carlos Ruiz Zafón, "Der Schatten des Windes" – kennen Sie den Roman? Eine Ihnen aus der BS noch bekannte Ina lieh es mir, und ich muß sagen, Widerstand ist zwecklos. Man könnte sagen, die Geschichte handelt davon, wie ein Buch zu jenem Einfallsloch wird, durch das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich zu munterer Vermengung treffen. 

Dankeschön, auch an The little Princess! - ein Jahr, das derart unter vier Augen beginnt, hat gefälligst brave new zu werden. Sie sagten, das Kind gibt sich mit Bach ab, geigend? Kaum, daß sie sprechen gelernt haben, erzählen sie einem die phantastischsten Geschichten, als hätten sie über einen langen Zeitraum hinweg beobachtet, aufgespeichert und angereichert mit Dingen, die wir schon lang zu sehen verlernt haben. Und umgekehrt könnte man meinen, die verlernen bloß, Wunderkind zu sein. Aber daß Sie bereits Geigenklängen lauschen, ist überaus bemerkenswert. Gerade höre ich den Soundtrack zu "The Hunger", Bachs Cellosuite # 1 ist auch darauf, nebst einiger schamloser Diebstähle beim Soundtrack zu "Performance", aber das macht ja auch nichts. Bowie im Film wirkt oft so schrecklich verloren. Und das Schreckliche ist, daß man sich dann oft so fühlt wie Bowie im Film. Ich gehöre ja zu den wenigen Menschen auf diesem Planeten, die "Schöner Gigolo, armer Gigolo" gesehen haben. Da war er fast so verloren wie in "The Man Who Fell To Earth". Sie sind doch todsicher bei The Cure? Hinterlassen Sie doch geheime Zeichen auf der Gemüsematschbassistinnenseite. 










Gemüsematschbassistinnenseite? :) Geheime Zeichen können Sie haben, aber wenn die Seite so geheim ist, dass ich sie nicht kenne, bleiben die Zeichen siebenschleierhaft.

Ist ja auch gar nicht so geheim – selbstverständlich suche ich den Mann auf, dessen Musik seit mehr als 20 Jahren mein Dasein begleitet. Was auch immer mich dort erwartet, allgemein werden die besten Live – The Cure erwartet, die es je gab. Porl ist wieder dabei. Dreistündige Konzerte. Irgendwo spielten sie im Herbst gar "How Beautiful You Are". Es zu verpassen ist undenkbar. Notieren Sie das.

Amor fati? Fatalismus wohl? Ich neige zu diesem. "There is no if, just and." Auch dies sang Smithy.

Sie schrieben erstaunlicherweise gerade gestern über das Kind, dem Tag, an dem es ein weiteres Jahr seiner Kindheit beendete. Sie spielt, wenn auch nicht wunderkindisch, so doch herzig und entschlossen. Heute machten sie und ihr Geigenlehrer sich zweistimmig an Vivaldis Herbst. Zuweilen ist es nicht einfach, dabeizusitzen. Auch an Tagen wie dem gestrigen wird die Mutter etwas wehmütig und es ziehen Bilder vorüber von vergangenen Momenten, an denen eben diese Wunder sich offenbarten, die Sie meinen.

Gemüsematsch. Sie haben doch wieder die Möhren anbrennen lassen!? Wir sollten ein Kochstudio für intellektuelle Nichtskocher eröffnen. Nach Muppets Vorbild ist es darin Pflicht, das Gemüse mit geschlossenen Augen in den Kochtopf zu befördern – werfenderweise selbstredend. Außerdem werden nur gut durchanalysierte Milchprodukte verwendet und Uhren sind zwar nicht verboten, aber verpönt. Gemüsematsch. Kennen Sie denn meine Matschtheorie? Die aus der Philturm Mensa? Angewiderte Kommilitonin und ich entwickelten diese. Der Chef de Cuisine des Studierendenwerks unterhält geheime Beziehungen zum Lauchplantagenbesitzer auf Kummerland. Um die Mindestabnahmemenge zu erfüllen, müssen Studenten täglich mehrere Tonnen von dem depressiven Zeug ertragen. Weiterhin gibt es in der Küche einem Nebenraum, zu dem nur Mensabedienstete Zugang erhalten, die genügend Sadismus Studenten gegenüber bewiesen haben. Hier stehen große Eimer, in denen grobes Pulver in verschiedenen Farbvariationen von Ocker bis Umbra lagert. Auf die Lauch- oder anderen Gemüsekreationen, die erst zufrieden stellend die Küche verlassen dürfen, wenn sie ordentlich verkocht sind, werden große Kellen aus eben dem Pulver angerührten Matsch gehauen. Die Farbwahl (Welche Farbe Matsch nehmen wir heute, Eckhart?) trägt täglich zur Belustigung des Personals bei.

Ich habe das Buch noch nicht gelesen, obwohl es mir schon von anderer Seite empfohlen wurde. Oder nein, es muß wohl heißen, ich habe es nicht gelesen, WEIL es mir von gewisser Seite empfohlen wurde. Da Sie es sind, werde ich dem Werk nun eine zweite Chance gewähren und es nach geschriebener Terminabgabearbeit zur Hand nehmen. Schatten treffen sich ja in der Dunkelheit und halten Tratsch über ihre Besitzer. Deshalb muß man immer drauf achten, ob am Morgen auch der richtige Schatten zu einem zurückgekommen ist. Es kommt da schon mal zu Verwechslungen.

Ich glaube, diese Filme, aus denen dieses Gefühl entsteigt, "so zu sein", finden uns von ganz allein. Bowie und Sie, wer würde keine Parallelen finden? Ich sah kürzlich einen Film, in dem Corinna Harfouch auf unglaubliche Weise Bozena Nemcova gab und war berückt und verstört für Tage. Ich war nie so arm, nie so krank und nie so konsequent wie sie, aber ich konnte mich nicht des Gefühls erwehren, ihre Zustände bestens zu kennen.










Habe zunächst mal "undenkbar" notiert. So geheim ist die Seite nicht: es ist die linke. Da stehen gern die Bassisten wie Jeordie White, wenn er mit Nine Inch Nails in die Berliner Columbiahalle kam. Oder eben auch die Smashing Pumpkins-Bassistinnen. Deren erste ein langjähriges Faszinosum ist, die aber erst in Substanzen- und dann in Geheimnebel abtauchte – man hört Dinge wie Pferdezüchterei und Antikenhandel. Gern würde ich einen blauen Fayencering der Bint-Anath bei ihr kaufen, da ich aber nun einmal der sanften Ironie Ihrer Worte eingedenk mitnichten mich hoch über dem Genfer See mit Tomaten aus dem teuren Bowiesandwich vollkleckere, muß das ein Traum bleiben. Diese Ihre Matschtheorie gefiel mir aber blendend. Bevor ich meine eigenen Beobachtungen aus der HS-Küche lieber für mich behalte, fällt mir ein, daß Gallup gar nicht links steht. Jetzt ist also D'Arcy durch eine gewisse Ginger Reyes ersetzt, beim RaR klang das ja alles hinreißend.

Auch Ihre Schattentheorie hält natürlich jeder Überprüfung stand, von Carl Theodor Dreyers "Vampyr" bis zu Nick Caves "Jack's Shadow" finden sich dankenswerterweise Indizien, daß man nicht allein ist mit diesem Gefühl, daß der Schatten einen zuweilen einen guten Mann bzw. eine gute Frau sein läßt. Wenn man also das Gefühl hat, nicht über seinen Schatten springen zu können, könnte zuweilen das eigentlich Interessante daran sein, daß es der Schatten eines anderen ist. Hm. Wirklich. ("Wirklich" wie in: "Now really Mansfield, must you!").

Über Bozena Nemcova weiß ich leider gar nichts, außer eben, nun ja (wie oft haben SIE es gesehen, in den Weihnachsferien?), und daß man sie rund um Prag vor allem für "Babicka" liebt. Aber ich denke, ich weiß, was Sie meinen, und ich will jetzt nicht wieder von dem Moment anfangen, in dem ich in Paris vor dem Haus stand, in dem Lautréamont verhungerte. Die Sache mit Carax, nun, sobald ich mehr als 342 Exemplare verkauft habe, nehme ich alles zurück, aber trotzdem stellt sich die Frage, ob man auf Papier schlafen und Tinte saufen soll für den Rest der Tage. Und ich wohne noch nicht mal über dem Roten Salon. Und der Mann hatte noch ein anderes Problem, an dem vor allem andere litten. Aber am Ende wußte er zumindest eines: daß wir tatsächlich alle durch eine seltsame Kette von Schicksalen und Zufällen miteinander verbunden sind. Keiner weiß eigentlich genau, welche Rolle er im Leben eines anderen spielt.

So ist die kleine Virtuosin also Sternzeichen Steinbock. Überrascht mich bei dem Blick gar nicht. Sie wissen, daß man als Steinbockmädchen immer ein paar Jahre klüger, schlauer, weiser ist als die blöden Mitschülerinnen? Dafür werden diese Mädchen später partout nicht älter, man kann fast sagen, sie werden jünger. Mit Ballett und Sheridan Le Fanu aufwachsen, und natürlich jeden dieser ziselierten Sätze aus "Onkel Silas" verstehen, ja auswendig können, dann mit Mitte 30 Marilyn Manson entdecken und später am Bühnenausgang stehen und Josh Homme den einzigen sein lassen, der zu schlapp ist, um als Steinzeitkönigin noch ein Autogramm zu geben.










Sie fanden Ironie in meinen Worten, die ich dort nicht reinlegte. Wenn ich von Parallelen schreibe, so meine ich nicht die Unterschiede, sondern die Parallelen ;) Ah, ja, die Smashing Pumpkins waren auch der einzige Gemüsematsch, der mir einfiel. Werden Sie diese denn aufsuchen, wenn sie dieselbe Arena beehren, wie meine Hausband? Simon Gallup, in Berlin stand ich vor ihm und als jemand Simoooon! rief, bemerkte ich, dass ich es war (aber "Simon, du geile Sau" rief eine andere). Ich wusste nicht, dass Bassist(inn)en Sie so faszinieren, finde es aber verständlich. Wenn man dem Film glauben darf, schlief Bozena Nemcova tatsächlich auf Papier am Ende ihres Lebens. Man kann die naive Idylle der Babicka erst verstehen, wenn man die Tragik ihres Lebens kennt. Sie wusste nicht, dass sie das Kind einer Adligen war, die sie nach einer heimlichen Affäre nicht behalten konnte. Sie wuchs deshalb bei Angestellten auf, die sie zeitlebens für ihre Eltern hielt. Wahre Liebe begegnete ihr nur einmal, und nur sehr kurz, während ihr Ehemann spielte und trank und ihr jedes Geld abnahm, das sie verdiente. Und doch war sie bereit, allem zu entsagen, was ihr noch die geringsten Bequemlichkeiten ermöglichte, nur, um schreiben zu können, da sie im Schreiben die einzige für sie zugängliche Schönheit fand.

Simone de Beauvoir wurde am 9. Januar 1908 geboren. Letzte Nacht sah ich einen schlechten Film über sie. Alice Schwarzer fragte dümmlich, warum sie und Sartre sich konsequent siezten und sie erhielt eine wunderbare Antwort, die keine war, was mich erfreute. Ich habe Alice Schwarzer vorher nie so naiv erlebt, wie sie es seinerzeit gewesen sein muß. Das Interview fand in Beauvoirs Wohnung statt und Schwarzer besaß die Dreistigkeit zu fragen, warum ihre Wohnung nicht die eines Autors, sondern die einer Frau wäre! Ich dachte, ich springe in den Fernsehapparat, tat es aber nicht, da ich vermute, es gibt Kopien dieser Aufzeichnung. Also wäre es eine sinnlose Verzweiflungstat gewesen. Naja, die Schwarzer eben, ihre Gefühllosigkeit ließ sie überhaupt nur so erfolgreich werden. La Beauvoir reagierte wiederum gelassen und erzählte von den Reiseerinnerungen, die sich in der Wohnung türmten.

Ja, ich weiß von der Besonderheit der Steinbockfrauen. Glücklicherweise habe ich horoskopisch ebensolche Anteile in mir und das macht es leichter, Verschiedenes zu verstehen. Ich kann nur selten mitreden, wenn andere von ihren Kindern und v.a. von Schwierigkeiten mit diesen erzählen. Meistens schweige ich dazu, da es nicht ankommt, wenn ich versuche zu erklären, was bei uns anders ist. Treffend beschrieben, "die blöden Mitschüler". Manche behandeln sie fast ehrfürchtig, was sie gelassen akzeptiert, da es ihr selbstverständlich erscheint.

Das Setting der Geigenstunde ist übrigens eine der größten Herausforderungen für mich. Ich habe Grund zu der Annahme, dass auch der Lehrer im Zeichen des Steinbocks geboren wurde. Menschen, die eine solche Stunde von außen beobachten würden, könnten nicht das Geringste erkennen; zur Begrüßung murmelt einer der drei eventuell ein Hallo, es wirkt, als würden Fremde sich vollkommen desinteressiert zu einer eher unangenehmen Aufgabenerfüllung treffen. Doch wenn die beiden zu spielen beginnen, sammeln sich in dem kleinen Raum psychische Energien. Über die Geige und das Kind hinweg strahlt er mich aus seiner sonst unzugänglichen Welt heraus an und in einer Weise, die kaum auszuhalten und nur schwer zu verstehen ist, empfinde ich die Musik wie keine andere. Wenn ich zurückblicke, erscheint Verwunderung in seiner Mimik. In seinem Blick auf das Kind sehe ich wiederum das Erstaunen über ihr Anderssein neben den anderen Schülern und das tiefe, aber unbewußte Verstehen unseres Gleichseins im Anderssein. Am Ende der Stunden gehen wir fast ohne Gruß wieder auseinander, wie Flüchtende.

Als die Stunden im letzten Mai begannen, nahm ich Ihr Buch erneut vor und das Wesentliche Ihrer Geschichte offenbarte sich wie nie zuvor; Gefühle, die Aljoscha durchlebt, schauten mich belustigt an, als wollten sie sagen: siehst du, so ist das. Aber keiner weiß genau, welche Rolle er im Leben eines anderen spielt, lernte ich heute Mittag und vielleicht ist das auch besser so.
 
 


























Montag, 20. Juni 2011

Creatures in Love







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Photo C.E.