Dienstag, 28. Juni 2011

Vorweihnacht mit Cured Catherine (3): Sabotage sabotieren








Eine Vergangenheit ist nach wie vor Gegenwart. Ich bin nicht sicher, ob ich verstehe, was Sie meinen, aber es ist wohl so, dass ich es auf eine Art bejahen würde. Manche Vergangenheiten bleiben oder werden Gegenwarten, unabhängig von Zeit und Ort des subjektiven Erlebens und Aufenthalts. Was ich meinte, war, dass ich dazu neige, mich an Unannehmlichkeiten weniger deutlich zu erinnern als an freundliche Erlebnisse, ein Prozess, den ich unter Aufbietung von Perspektivwechseln aufzuhalten suche.

Ich kann mir nur wenige Vergangenheiten vorstellen, die eine objektive Macht besäßen. Diese müssten sehr tiefe Gravuren hinterlassen haben, nicht wahr? Was mich umtreibt, ist die Auseinandersetzung mit dem Leben, das nicht gelebt ist. Otto Rank sagte, dass manche Menschen die Schuld des Todes so sehr fürchten, dass sie das Darlehen des Lebens ausschlagen.

Die Angst, das Leben aufzubrauchen. Ich habe die Wahl, ob ich das meiste aus dem Leben mache, das noch vor mir liegt, oder ob ich weiter so tue, als würde der Tod nie kommen. Verstehen Sie, das geht weiter als "Carpe diem", es hat sich ein hohes Maß an Vermeidung eingeschlichen, war in mehrfacher Hinsicht immer da und ich werde mir mit Schrecken darüber bewusst.

Ich kenne das Gefühl, im Traum aus einem Traum zu erwachen. Die Adaption an die Realität beim wirklichen Aufwachen fühlt sich dann an wie eine schwere Wolldecke, unter der man hervorkriecht und das Staunen über die veränderte Umwelt, die genauso ist wie zuvor. An Landschaftsträume erinnere ich mich nicht, was, glauben Sie, bedeuten die Landschaften? 
 
Cocteau Twins :). Es sollte heißen: "When Mama Was Goth".










Ich war kryptisch und werde es bleiben müssen, vielleicht macht es ein wenig mehr Sinn, wenn Sie die verschiedenen Zeitebenen, die ich beschrieb, mit Personen und deren Präsenz (objektive Macht) identifizieren. Eine Gegenwart, die zu groß und zu bedeutend ist, um je Vergangenheit zu werden, auch wenn man daran glaubte - derzeit sitze ich auf my own personal Saturnring und frage den Vollmond, wann ich aufhören kann, ihn anzuheulen. Otto Rank? Das ist doch "Doppelgänger"-Rank? Unter besagten Schiffsladungen zum "Horror" müßte sich das irgendwo befinden. "Besagt" in jenem Interview, das man mit mir führte, meine ich. Gleichwie: was mir fehlt, ist eine bestimmte Art von Skrupellosigkeit. Vielleicht fehlt Ihnen eine andere? Skrupellosigkeit darin, die Schuld dem nicht gelebten Leben gegenüber zu begleichen?

Was Sie sagen, zum tiefer als "carpe diem": keine Zeit mehr fürs Zweitbeste. In der Kunst nicht und im Leben nicht. Aber eben deshalb, weil es so viel Bestes gibt.

Grüßen Sie Ihre wundersame Prinzessin doch bitte von mir, sofern sie sich noch erinnert.










Ihre Krypten sind verständlich, überraschenderweise verstehe ich meine Position nicht als eine, in der mir etwas anderes zustünde, als zu wünschen, dass es Ihnen wohl ergehen solle.

Sie berichteten vom "Horror" in einem Stiegenhaus. Ich erinnere mich. Und auch die Wundersame, die keine sein will. Sie nahm Ihren Gruß huldvoll entgegen, enthielt sich aber in höfischer Manier einer Antwort.

Keine Zeit mehr fürs Zweitbeste, ja, das trifft es mehr als Sie ahnen. Mit dem Unterschied, dass es auch kein Bestes gibt. Es gibt nur diese Aufgabe, die mir systemisch zuteil wurde. Die beigelegte Isolation wiegt schwer auf Schultern, die vieles tragen müssen. Der Versuch, der existentiellen Isolation zu entkommen, scheiterte jüngst an einer falschen, zweitbesten Lösung dieser unlösbaren Grundtatsache des Lebens und so beneide ich Sie fast. Nicht um den Zustand, sondern um die vermutlichen Gründe, die den Mond als Zuhörer fordern. Skrupellosigkeit, ein schönes Bild. Verpflichtung und Erfahrung rauben ihr den Atem.

Ich befürchte Schlimmes für die ausstehende Veröffentlichung der Herren Smith / Gallup / Cooper/ Thompson, obwohl es nach der letzten nur besser werden kann, wie Stimmen unkten.










Glauben Sie denn an unlösbare Grundtatsachen des Lebens? Ich fürchte, wenn gilt, man kann nie sicher sein, dann auch nicht hinsichtlich existentieller Isolation. Wissen Sie, wie Montaigne "diesen scheinbaren geistigen Zusammenhang, den jeder sich in seinem Inneren zurechtmacht", nannte? Vernunft. Unsere Vorstellungen von uns selbst, sie stehen wie Minotauren im griechischen Hain herum, und wenn es unvernünftig ist, jeden Tag einen Minotaurus wegzuschieben, bitte. Manchmal sind scheiternde Ausbruchsversuche ja nur vordergründig ein Scheitern, und das Loch ist da. Und wenn es nicht da sein sollte, kann man es immer noch hin-sehen. Wie sagt Bebuquin, auf kippligem Barstuhl balancierend: "Darum, meine Damen, werden so viele verrückt. Wir entbehren der Fiktionen, der Positivismus ruiniert."
 
Aber wie Sie mir mal im Hinblick auf meine Vorschläge, was Marilyn Manson tun sollte, sagten: Sie haben es nötig.

Sie meinen "The Cure" von 2004? Ich müßte sie mal wieder hören, aber wenn ich mich recht entsinne, war es teilweise ein recht enthusiasmierendes Getöse. Sie kam mir erst kurz vor meinem Exodus zu Ohren, und die Mütze, die unter der Mütze hielte, was mir seitdem über den Kopf wächst, existiert noch nicht.

Hat das System, das Sie systemisch nennen, sozusagen einen Titel? Oder ist es eher leitmotivisch? 










Hm. Ich glaube eigentlich an gar nichts und somit auch wieder an alles. Ich gehe mit der Grundtatsachenvorstellung spazieren, weil sie tatsächlich einen gewissen Trost beinhaltet. "Wenn du auch allein in deinem Boot sitzt, ist es doch beruhigend, die Lichter der anderen Boote vorbeiziehen zu sehen." Und, ja, andere Grundtatsachen des Lebens sind nach Yalom die Unausweichlichkeit des Todes und die Freiheit (sich zu Bedingungen zu verhalten...). Auf Basis seiner Theorie behauptet er unter anderem, dass unausgegorene Versuche, der Isolation zu entkommen, Beziehungen zu anderen Menschen sabotieren. Und davon kann ich ein Gesamtwerk singen. 
 
Das Scheitern ansich ist unproblematisch vertraut, aber wenn ich die Minotauren auch derzeit verschiebe wie Güterzüge im Verschiebebahnhof, dann sind da immer noch "die Anderen", zu denen keine Brücke geschlagen ist. Eine tragfähige Brücke. Fundamente im Baumarkt nicht lieferbar. Aber Ihre Frage ist berechtigt. Glaube ICH oder glaube ich nur, was geschrieben steht, weil es bequem oder gar tröstlich ist? Verstellt die Trostsuche den Blick auf oder in? Positiv ist, dass ich darauf keine A-Dur Antwort mehr finde. Sicher ist, dass ich etwas zu verändern suche, was Sie mir einmal sagten: Wir sprechen immer nur von mir. Wir sprechen nie von Ihnen. Womit Sie einen Schutzmechanismus entlarvten, der eben diese Sabotage bedeutet. Fiktionen sind mein Leben seit 200 Jahren, mitunter wäre etwas mehr Positivismus gar willkommen. Ah, non. "Es wäre alles noch viel schlimmer ohne Fußball und Dosenbier." (Lotto King Karl)

Gute Mützen sind schwer erhältlich und Stricken gehört auch nicht in mein Repertoire. Ich weiß schon. Würden Sie den Exodus denn gern rückgängig gemacht haben wollen können werden?
 
The Cure von 2004 hörte sogar ich - und das ist bedeutsam - nicht so oft, dass ich alle Texte auswendig könnte.

Systemisch nennen wir Seelenforscher - hüstel - die Einordnung des Einzelnen in ein System (in aller Regel die Ursprungs- später auch, wenn vorhanden, die Kernfamilie). Da das System nun mal mächtiger als der Einzelne ist, verfehlt es seine Wirkung auf dessen Entwicklung nicht.










Während zuviel von sich zu sprechen dann bedeuten kann, daß man plötzlich zuviele Brücken gebaut hat, aber mit der Vorstellung, die dann vom Genie des Baumeisters besteht, nicht eins werden kann. Rückgängigmachen des Exodus ist derzeit nicht möglich. Und doch stellt sich mir, wie Sie bemerkt haben, die Frage nach Macht und Verbleib gemeinsam geschaffener Universen. Wir hatten so sehr eine eigene Sprache, daß, wenn wir auf den Dachboden gestiegen sind, wo sich der Eierkopp-Nachbar gerade friedlich ein Schüßchen setzte, dieser nach 10 Minuten Mitanhörenmüssen von Beaumarchais-Gespräch entnervt sein Refugium verließ.

Ah, und geht es nicht letztlich darum, jemanden zu finden, der die eigenen Fiktionen schon seit weit über 200 Jahren teilt und versteht? Daß dies möglich ist, kann ich wiederum unter Positivismus verbuchen. Allerdings entsteht auch daraus ein System, das mächtiger ist als der Einzelne, scheint mir, auch mit der Eigenmacht negativer Kräfte, gegen die noch 200 Jahre ankämpfen zu wollen vielleicht aber, wenn die Alpträume ein Ende haben, der letzte Beweis der Liebe ist.

Die Sabotage der Schutzmechanismen ihrerseits zu sabotieren, Tagesbefehl Nr. 2 an die Kunstarmee. Die Angst selbst ängstigen mit dem, was sie nicht vorhergesehen hat. Der Zweifel hält ständig seine Kamera auf uns, aber wir können noch die Bilder zerreißen. Jeder Heutehammer will das Examinieren der eigenen geheimsten Wünsche zermalmen: verweigern wir uns.










Verzeihen Sie, dass ich gestern nicht stoppte, aber ich war in Gedanken und Eile. Es ist immer so, nun ja, Sie wissen schon (Vgl. The Cure, Cut Here, Zeile 15-18). Ich sinnierte über einen Nietzschesatz. Der Schlüssel zu einem erfüllten Leben liege darin, das Unumgängliche zu wollen und dann das Gewollte zu lieben. So ging der Satz in etwa. Ein wichtiger Satz, aber wem sage ich das, Sie schrieben ein Buch darüber. Eigentlich vertragen sich solche Gedanken schlecht mit der Teilnahme am Straßenverkehr. Zumal die Teilnehmende derzeit wiederholt Extrem-Multitasking betreibt und sich die Wirklichkeit mitunter als ganz unwirklich ausnimmt. Ich versinke in mir und bin nach außen nur sichtbar, weil es nicht anders geht.

Wissen Sie, dass Dachböden für manche Seher die Zukunft symbolisieren? Keller stehen für Vergangenheit. Mehr als eine Dekade Fiktionen und Sprache zu teilen und darin mehrere Jahrhunderte zu vereinen, ist ein mächtiges System und ich wünsche Ihnen ernsthaft Streichhölzer. Setting fire to bridges, boats and all the dreary worlds, you know.

Geht es wirklich für Jeden darum, jemanden zu finden? Zunächst plage ich mich damit, ein "So war es" in ein "So wollte ich es" umzuschaffen. Ich wäre dann, meine ich, frei, die zu werden, die ich bin, was unbedingt vor dem Finden des Gegenübers steht.

Die Angst ängstigen... die Bilder des Zweifels zerreißen! Welch glückliche Wortverbindungen – ich danke Ihnen!










Trotzdem glaube ich ja, daß konzentrierte psychische Energie die Wirklichkeit zu irritieren vermag, und das muß dann auch wieder ins Phänomen "Bestimmung" integriert werden. Besser jedenfalls, aus Insichversinken unsichtbar zu sein, als aus Vagheit. "Dieser Nigel ist so vage, daß er schon fast unsichtbar wirkt." (so ungefähr jedenfalls, John Osborne, Blick zurück im Zorn).

Nein, daß Dachböden und Keller verschiedene Zeitebenen symbolisieren können, wußte ich nicht. Heute nacht träumte ich, daß ich ein entscheidendes Fenster im Philosophenturm aufriß, in luftiger Höhe, was den ganzen Betrieb durcheinander brachte, und ich dann den Rest der Nacht durch einen kafkaesk expandierten Philosophenturm von Versteck zu Versteck jagte, damit die aufgebrachte Meute mich nicht findet. Ich entkam.

Der intensive Wunsch, erst ein Selbst zu schaffen, mit dem man einem Gegenüber ohne "I'm not match" gegenübertritt, erinnert mich an Pjotr. Und es ist auch mir sehr gut vertraut. Indes, mittendrin kann es geschehen, daß jemand kommt und dir das Werden, was man ist, nicht mehr überlassen kann, weil er dich, take the Heidegger term and run, entbirgt.

Derzeit auf dünnem Eis, das manchmal geräuschvoll kracht, und ansonstem mit einem rasenden, leicht unverständlichen Austausch von Keller und Dachboden beschäftigt, als wäre Zeit ein Buster Keaton-Film, widme ich die Stunde des Wolfes derzeit Carlos Ruiz Zafón, "Der Schatten des Windes" – kennen Sie den Roman? Eine Ihnen aus der BS noch bekannte Ina lieh es mir, und ich muß sagen, Widerstand ist zwecklos. Man könnte sagen, die Geschichte handelt davon, wie ein Buch zu jenem Einfallsloch wird, durch das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich zu munterer Vermengung treffen. 

Dankeschön, auch an The little Princess! - ein Jahr, das derart unter vier Augen beginnt, hat gefälligst brave new zu werden. Sie sagten, das Kind gibt sich mit Bach ab, geigend? Kaum, daß sie sprechen gelernt haben, erzählen sie einem die phantastischsten Geschichten, als hätten sie über einen langen Zeitraum hinweg beobachtet, aufgespeichert und angereichert mit Dingen, die wir schon lang zu sehen verlernt haben. Und umgekehrt könnte man meinen, die verlernen bloß, Wunderkind zu sein. Aber daß Sie bereits Geigenklängen lauschen, ist überaus bemerkenswert. Gerade höre ich den Soundtrack zu "The Hunger", Bachs Cellosuite # 1 ist auch darauf, nebst einiger schamloser Diebstähle beim Soundtrack zu "Performance", aber das macht ja auch nichts. Bowie im Film wirkt oft so schrecklich verloren. Und das Schreckliche ist, daß man sich dann oft so fühlt wie Bowie im Film. Ich gehöre ja zu den wenigen Menschen auf diesem Planeten, die "Schöner Gigolo, armer Gigolo" gesehen haben. Da war er fast so verloren wie in "The Man Who Fell To Earth". Sie sind doch todsicher bei The Cure? Hinterlassen Sie doch geheime Zeichen auf der Gemüsematschbassistinnenseite. 










Gemüsematschbassistinnenseite? :) Geheime Zeichen können Sie haben, aber wenn die Seite so geheim ist, dass ich sie nicht kenne, bleiben die Zeichen siebenschleierhaft.

Ist ja auch gar nicht so geheim – selbstverständlich suche ich den Mann auf, dessen Musik seit mehr als 20 Jahren mein Dasein begleitet. Was auch immer mich dort erwartet, allgemein werden die besten Live – The Cure erwartet, die es je gab. Porl ist wieder dabei. Dreistündige Konzerte. Irgendwo spielten sie im Herbst gar "How Beautiful You Are". Es zu verpassen ist undenkbar. Notieren Sie das.

Amor fati? Fatalismus wohl? Ich neige zu diesem. "There is no if, just and." Auch dies sang Smithy.

Sie schrieben erstaunlicherweise gerade gestern über das Kind, dem Tag, an dem es ein weiteres Jahr seiner Kindheit beendete. Sie spielt, wenn auch nicht wunderkindisch, so doch herzig und entschlossen. Heute machten sie und ihr Geigenlehrer sich zweistimmig an Vivaldis Herbst. Zuweilen ist es nicht einfach, dabeizusitzen. Auch an Tagen wie dem gestrigen wird die Mutter etwas wehmütig und es ziehen Bilder vorüber von vergangenen Momenten, an denen eben diese Wunder sich offenbarten, die Sie meinen.

Gemüsematsch. Sie haben doch wieder die Möhren anbrennen lassen!? Wir sollten ein Kochstudio für intellektuelle Nichtskocher eröffnen. Nach Muppets Vorbild ist es darin Pflicht, das Gemüse mit geschlossenen Augen in den Kochtopf zu befördern – werfenderweise selbstredend. Außerdem werden nur gut durchanalysierte Milchprodukte verwendet und Uhren sind zwar nicht verboten, aber verpönt. Gemüsematsch. Kennen Sie denn meine Matschtheorie? Die aus der Philturm Mensa? Angewiderte Kommilitonin und ich entwickelten diese. Der Chef de Cuisine des Studierendenwerks unterhält geheime Beziehungen zum Lauchplantagenbesitzer auf Kummerland. Um die Mindestabnahmemenge zu erfüllen, müssen Studenten täglich mehrere Tonnen von dem depressiven Zeug ertragen. Weiterhin gibt es in der Küche einem Nebenraum, zu dem nur Mensabedienstete Zugang erhalten, die genügend Sadismus Studenten gegenüber bewiesen haben. Hier stehen große Eimer, in denen grobes Pulver in verschiedenen Farbvariationen von Ocker bis Umbra lagert. Auf die Lauch- oder anderen Gemüsekreationen, die erst zufrieden stellend die Küche verlassen dürfen, wenn sie ordentlich verkocht sind, werden große Kellen aus eben dem Pulver angerührten Matsch gehauen. Die Farbwahl (Welche Farbe Matsch nehmen wir heute, Eckhart?) trägt täglich zur Belustigung des Personals bei.

Ich habe das Buch noch nicht gelesen, obwohl es mir schon von anderer Seite empfohlen wurde. Oder nein, es muß wohl heißen, ich habe es nicht gelesen, WEIL es mir von gewisser Seite empfohlen wurde. Da Sie es sind, werde ich dem Werk nun eine zweite Chance gewähren und es nach geschriebener Terminabgabearbeit zur Hand nehmen. Schatten treffen sich ja in der Dunkelheit und halten Tratsch über ihre Besitzer. Deshalb muß man immer drauf achten, ob am Morgen auch der richtige Schatten zu einem zurückgekommen ist. Es kommt da schon mal zu Verwechslungen.

Ich glaube, diese Filme, aus denen dieses Gefühl entsteigt, "so zu sein", finden uns von ganz allein. Bowie und Sie, wer würde keine Parallelen finden? Ich sah kürzlich einen Film, in dem Corinna Harfouch auf unglaubliche Weise Bozena Nemcova gab und war berückt und verstört für Tage. Ich war nie so arm, nie so krank und nie so konsequent wie sie, aber ich konnte mich nicht des Gefühls erwehren, ihre Zustände bestens zu kennen.










Habe zunächst mal "undenkbar" notiert. So geheim ist die Seite nicht: es ist die linke. Da stehen gern die Bassisten wie Jeordie White, wenn er mit Nine Inch Nails in die Berliner Columbiahalle kam. Oder eben auch die Smashing Pumpkins-Bassistinnen. Deren erste ein langjähriges Faszinosum ist, die aber erst in Substanzen- und dann in Geheimnebel abtauchte – man hört Dinge wie Pferdezüchterei und Antikenhandel. Gern würde ich einen blauen Fayencering der Bint-Anath bei ihr kaufen, da ich aber nun einmal der sanften Ironie Ihrer Worte eingedenk mitnichten mich hoch über dem Genfer See mit Tomaten aus dem teuren Bowiesandwich vollkleckere, muß das ein Traum bleiben. Diese Ihre Matschtheorie gefiel mir aber blendend. Bevor ich meine eigenen Beobachtungen aus der HS-Küche lieber für mich behalte, fällt mir ein, daß Gallup gar nicht links steht. Jetzt ist also D'Arcy durch eine gewisse Ginger Reyes ersetzt, beim RaR klang das ja alles hinreißend.

Auch Ihre Schattentheorie hält natürlich jeder Überprüfung stand, von Carl Theodor Dreyers "Vampyr" bis zu Nick Caves "Jack's Shadow" finden sich dankenswerterweise Indizien, daß man nicht allein ist mit diesem Gefühl, daß der Schatten einen zuweilen einen guten Mann bzw. eine gute Frau sein läßt. Wenn man also das Gefühl hat, nicht über seinen Schatten springen zu können, könnte zuweilen das eigentlich Interessante daran sein, daß es der Schatten eines anderen ist. Hm. Wirklich. ("Wirklich" wie in: "Now really Mansfield, must you!").

Über Bozena Nemcova weiß ich leider gar nichts, außer eben, nun ja (wie oft haben SIE es gesehen, in den Weihnachsferien?), und daß man sie rund um Prag vor allem für "Babicka" liebt. Aber ich denke, ich weiß, was Sie meinen, und ich will jetzt nicht wieder von dem Moment anfangen, in dem ich in Paris vor dem Haus stand, in dem Lautréamont verhungerte. Die Sache mit Carax, nun, sobald ich mehr als 342 Exemplare verkauft habe, nehme ich alles zurück, aber trotzdem stellt sich die Frage, ob man auf Papier schlafen und Tinte saufen soll für den Rest der Tage. Und ich wohne noch nicht mal über dem Roten Salon. Und der Mann hatte noch ein anderes Problem, an dem vor allem andere litten. Aber am Ende wußte er zumindest eines: daß wir tatsächlich alle durch eine seltsame Kette von Schicksalen und Zufällen miteinander verbunden sind. Keiner weiß eigentlich genau, welche Rolle er im Leben eines anderen spielt.

So ist die kleine Virtuosin also Sternzeichen Steinbock. Überrascht mich bei dem Blick gar nicht. Sie wissen, daß man als Steinbockmädchen immer ein paar Jahre klüger, schlauer, weiser ist als die blöden Mitschülerinnen? Dafür werden diese Mädchen später partout nicht älter, man kann fast sagen, sie werden jünger. Mit Ballett und Sheridan Le Fanu aufwachsen, und natürlich jeden dieser ziselierten Sätze aus "Onkel Silas" verstehen, ja auswendig können, dann mit Mitte 30 Marilyn Manson entdecken und später am Bühnenausgang stehen und Josh Homme den einzigen sein lassen, der zu schlapp ist, um als Steinzeitkönigin noch ein Autogramm zu geben.










Sie fanden Ironie in meinen Worten, die ich dort nicht reinlegte. Wenn ich von Parallelen schreibe, so meine ich nicht die Unterschiede, sondern die Parallelen ;) Ah, ja, die Smashing Pumpkins waren auch der einzige Gemüsematsch, der mir einfiel. Werden Sie diese denn aufsuchen, wenn sie dieselbe Arena beehren, wie meine Hausband? Simon Gallup, in Berlin stand ich vor ihm und als jemand Simoooon! rief, bemerkte ich, dass ich es war (aber "Simon, du geile Sau" rief eine andere). Ich wusste nicht, dass Bassist(inn)en Sie so faszinieren, finde es aber verständlich. Wenn man dem Film glauben darf, schlief Bozena Nemcova tatsächlich auf Papier am Ende ihres Lebens. Man kann die naive Idylle der Babicka erst verstehen, wenn man die Tragik ihres Lebens kennt. Sie wusste nicht, dass sie das Kind einer Adligen war, die sie nach einer heimlichen Affäre nicht behalten konnte. Sie wuchs deshalb bei Angestellten auf, die sie zeitlebens für ihre Eltern hielt. Wahre Liebe begegnete ihr nur einmal, und nur sehr kurz, während ihr Ehemann spielte und trank und ihr jedes Geld abnahm, das sie verdiente. Und doch war sie bereit, allem zu entsagen, was ihr noch die geringsten Bequemlichkeiten ermöglichte, nur, um schreiben zu können, da sie im Schreiben die einzige für sie zugängliche Schönheit fand.

Simone de Beauvoir wurde am 9. Januar 1908 geboren. Letzte Nacht sah ich einen schlechten Film über sie. Alice Schwarzer fragte dümmlich, warum sie und Sartre sich konsequent siezten und sie erhielt eine wunderbare Antwort, die keine war, was mich erfreute. Ich habe Alice Schwarzer vorher nie so naiv erlebt, wie sie es seinerzeit gewesen sein muß. Das Interview fand in Beauvoirs Wohnung statt und Schwarzer besaß die Dreistigkeit zu fragen, warum ihre Wohnung nicht die eines Autors, sondern die einer Frau wäre! Ich dachte, ich springe in den Fernsehapparat, tat es aber nicht, da ich vermute, es gibt Kopien dieser Aufzeichnung. Also wäre es eine sinnlose Verzweiflungstat gewesen. Naja, die Schwarzer eben, ihre Gefühllosigkeit ließ sie überhaupt nur so erfolgreich werden. La Beauvoir reagierte wiederum gelassen und erzählte von den Reiseerinnerungen, die sich in der Wohnung türmten.

Ja, ich weiß von der Besonderheit der Steinbockfrauen. Glücklicherweise habe ich horoskopisch ebensolche Anteile in mir und das macht es leichter, Verschiedenes zu verstehen. Ich kann nur selten mitreden, wenn andere von ihren Kindern und v.a. von Schwierigkeiten mit diesen erzählen. Meistens schweige ich dazu, da es nicht ankommt, wenn ich versuche zu erklären, was bei uns anders ist. Treffend beschrieben, "die blöden Mitschüler". Manche behandeln sie fast ehrfürchtig, was sie gelassen akzeptiert, da es ihr selbstverständlich erscheint.

Das Setting der Geigenstunde ist übrigens eine der größten Herausforderungen für mich. Ich habe Grund zu der Annahme, dass auch der Lehrer im Zeichen des Steinbocks geboren wurde. Menschen, die eine solche Stunde von außen beobachten würden, könnten nicht das Geringste erkennen; zur Begrüßung murmelt einer der drei eventuell ein Hallo, es wirkt, als würden Fremde sich vollkommen desinteressiert zu einer eher unangenehmen Aufgabenerfüllung treffen. Doch wenn die beiden zu spielen beginnen, sammeln sich in dem kleinen Raum psychische Energien. Über die Geige und das Kind hinweg strahlt er mich aus seiner sonst unzugänglichen Welt heraus an und in einer Weise, die kaum auszuhalten und nur schwer zu verstehen ist, empfinde ich die Musik wie keine andere. Wenn ich zurückblicke, erscheint Verwunderung in seiner Mimik. In seinem Blick auf das Kind sehe ich wiederum das Erstaunen über ihr Anderssein neben den anderen Schülern und das tiefe, aber unbewußte Verstehen unseres Gleichseins im Anderssein. Am Ende der Stunden gehen wir fast ohne Gruß wieder auseinander, wie Flüchtende.

Als die Stunden im letzten Mai begannen, nahm ich Ihr Buch erneut vor und das Wesentliche Ihrer Geschichte offenbarte sich wie nie zuvor; Gefühle, die Aljoscha durchlebt, schauten mich belustigt an, als wollten sie sagen: siehst du, so ist das. Aber keiner weiß genau, welche Rolle er im Leben eines anderen spielt, lernte ich heute Mittag und vielleicht ist das auch besser so.
 
 


























Montag, 20. Juni 2011

Creatures in Love







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Photo C.E.










Dienstag, 14. Juni 2011

The Aljoscha House

 

 

 


 


 









 
 
 
 
 



 


 
 
 
 
 
 
Art Glass Work by Monika Cate
 
2007



















Montag, 30. Mai 2011

004 - Horror als Grenzerfahrung: Etymologie







"Die Sprache ist Delphi."
(Novalis 1943, 597)


Einen Zustand, für den die Brockhaus-Enzyklopädie mit "Schauder, Grausen, Abscheu" gängige Umschreibungen liefert, wird schon die Intuition als Grenzsituation wahrnehmen. Mit der Sprache als Delphi und der Etymologie als Wahr-Sagung läßt sich die Intuition in einem wahrscheinlich für sie selbst erstaunlichen Maße verifizieren. Der Zusammenhang zwischen Horror und Grenze ist weder zufällig noch artifiziell. Er ist in der Sprache fixiert. 

Die Urbedeutung des lateinischen Verbs horrere ist "rauh sein" bzw. "von etw. rauh, uneben werden" (dann i.d.R. horrescere; Georges 1959, 3078 ff.). Nach Pokorny bedeutet horrere "rauh sein, starren; schaudern, sich entsetzen" (Pokorny 1959, 445). Als verbindlich gilt der Forschung die Zuordnung von horrere zum altindischen hársate bzw. hrsyati, "wird starr, sträubt sich, schaudert" (Walde/Hofmann 1965, 659), zu "skr. ghrsuh 'excité'" (Ernout/Meillet 1959, 300), zu "Sansc. hrish, to stand erect, to bristle" (Lewis/Short 1962, 864), zur Silbe HRS- "bristle, be glad" (Turner 1966, 818). Mayrhofer faßt als Verwandtes zusammen:

"hársate ist erregt, ist ungeduldig, freut sich (...) ('zu Berge stehen [der Haare, vor Freude oder Schreck], starren'), hrsyati freut sich (...) harsáy erregen, erfreuen (...) dazu ghrsúh, ghrsvi (...) Vgl. lat. Horrere starren, sich emporsträuben, schaudern (...) Der Anlaut hatte wohl primär Velar, da ghrsú-, ghrsvi- von hars- kaum zu trennen sind (...)" (Mayrhofer 1976, 583 ff.) 

Starren und Sichsträuben, Zu-Berge-Stehen der Haare und Schaudern indizieren also schreckhafte ebenso wie freudig-lustbetonte Erregung. Schon hier wird Horror kenntlich als psychophysischer Erregungszustand, in den die Ambivalenz konsequent eingelagert ist. Derselbe Reflex, ein unwillkürliches Erigieren, ist Symptom für ein Zurückschrecken wie für eine lustvolle Hinwendung. Der Hinweis von Mayrhofer, der hars- bzw. hrs- als Variationen von ghrs- ansieht, führt zu einer weiteren Spur:

"ghrstih, ghrsvih m.Eber (...) nicht sicher gedeutet. Am ehesten noch (als sexuelle Benennung – oder als 'Stacheltier'?) zu *ghers- 'starren, steif sein', ai. hársate : vgl. harsa- 'Geilheit, Steifwerden' (...) zur selben Wurzel auch gr. χοίρος Ferkel, χήρ Igel (...)" (Mayrhofer 1956, 361).

Die Konnotationen sind deutlich: während die Borsten- oder Stacheltiere eher die abwehrende Aufrichtung repräsentieren, richtet die "freudige Erregung" nicht nur Haare auf, sie bewirkt auch die Aufwärtsbewegung der sexuellen Erektion, also Hinwendung. Zeigte schon Grassmann (1873, 1679) ghrs- als ursprüngliche Form von hrs- , bestätigt Pokorny horrere als Ableitung von *ghers:

"ĝhers- und z.T. ĝher- 'starren' (s.auch 3.gher-); ĝhēr-s 'Stacheltier'. Ai. hársatē, hrsyati, 'wird starr, sträubt sich, schaudert, ist erregt, freut sich' (...) χοίρος (<*ĝhorios) 'Ferkel' (als Borstentier) (...) lat. horreo (...)" (Pokorny 1959, 445).

Darüberhinaus kann ghers- oder ghres- die Bedeutung von "Widerwille, Abscheu, Ekel" (ebd.) annehmen. So ergibt sich unter Einbeziehung indogermanischer bzw. altindischer Sprachschichten als die archaische Semantik des Horrors: etwas starrt empor oder wird starr, sträubt sich oder richtet sich auf; die Erektion verrät extreme innere Bewegung, ist Indiz lustvoller Erregung oder schreckhafter Abwehrreflex, gibt ebenso Wollust kund wie Widerwillen, gilt einem unbezwinglich Attraktiven oder Furchterregenden, einem so Schrecklichen wie Faszinierenden. Es verbinden sich (Empor)Starren und Aufgestacheltsein, Aufrichtung und Erregung, Aufragen und Aufregen. Der Horrorschauer produziert nun tatsächlich Rauheit: durch Kontraktion der an den Haarbälgen liegenden Muskeln richten die Haare sich auf, die Haut wird durch den Schauder "rauh"; die "Gänsehaut" ist eine Form der Erektion.

Rauheit ist Abweichung von glatter Oberfläche und Resultat von Erregung - indem sich durch Ragen, Starren, Sträuben und Aufrichtung Erhebung bildet, indem sich das Erhabene bildet – auch in der Psyche: Horror ist quasi Erektion im Kopf. Rauheit ist gegenüber Glätte der unruhigere Zustand, genaugenommen ein Zustand zwischen Unruhe und äußerster Unruhe, je nach Rau[h]tiefe: diese technische Kenngröße (Rt) mißt den Abstand zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Punkt der Rauheit. Auch Horror hat seine Rau[h]tiefe.

Die in den tiefsten Sprachschichten bereits angelegte Ambivalenz macht deutlich, daß es im Zustand Horror nicht um lustvolle Erregung oder reflexhaften Schrecken geht, sondern um das Zugleich beider Reaktionen. Durch die Simultaneität von extremer Hinwendung und extremer Abwehr, von extremer Anziehung und extremer Abstoßung erweist sich Horror als eine Art dialektischer Magnetismus. Im Tierreich oder in sogenannt primitiven Menschheitskulturen demonstriert der erigierte Penis nicht nur "Geilheit" und damit Hinwendung, sondern ist auch Abwehr- und Drohgebärde – also Grenzmarkierung. Sexualität und Grenze, Erektion und Horror zeigen sich in dieser Geste innig verbunden. Auch zur Aufrichtung des Fells kommt es bei Tieren gerade auch dann, wenn Territoriumsgrenzen bedroht sind.

Eros ist ein In-die-Höhe-Bringer, der Aufragen und Aufregen in eins setzt. Das Wort Eros leitet sich ab aus der Silbe "er- : or- : r-", die als indogermanische "Bewegungssilbe" bekannt ist: "(...) 'sich in Bewegung setzen, erregen [auch seelisch (...) reizen]; in die Höhe bringen (Erhebung, hochwachsen)" (Pokorny 1959, 326). Sie entwickelt sich in die griechische Stammform ΟΡΩ, aus der sich Phänomene des Emporragens und Emporsteigens, des sich Erhebenden ableiten, so auch das griechische Wort für Berg, ὄρος. Ein Berg ist mitnichten etwas Statisches. Bei einem Berg handelt es sich um eine Seinserregung und um einen für erregtes Sein prädestinierten Platz. Gigantische, massive, in himmlische Lichtregionen emporragende Berge erschienen zu allen Zeiten wie ein Signum höherer Mächte, haben immer schon zu religiösen Vorstellungen inspiriert, galten als Wohnsitz der Götter und waren, als deren Offenbarungsorte, bevorzugte Kultstätten. Schon die Höhe und Himmelsnähe der Berge hatte den Charakter des Sakralen. Oft wurde der "heilige Berg" als Weltmittelpunkt angesehen. "Der Berg, den Gott zur Wohnung sich erkoren" (Psalm 67) ist eine die Wahrnehmung auf sich fixierende Erhebung, eine Rauheit im Erlebnisfeld, etwas wesentlich Dynamisches also, das aufragend erregt und im übrigen die freie Entfaltung begrenzt. Der Berg ist berggewordener Eros, das Aufragende schlechthin, seine Erhebung ist Erregung (der Ebene) und bewirkt (heilige) Erregung, die wiederum erhebt.

Fast identisch mit ὄρος, Berg, ist das dem lateinischen horror klanglich sehr ähnliche altgriechische Wort für Grenze, ὅρος (gesprochen etwa "horros"). Berg wie Grenze sind Formen einer im Wahrnehmungsfeld entstehenden Rauheit. Und das Entscheidende ist nun: wie es das Begrenzende des Berges gibt, so ist die Grenze eine Erhebung.

Der Zusammenhang läßt sich auch im Deutschen erahnen: die Schwelle heißt Schwelle, weil sie auch Schwellung ist, Erhebung. Das ahd. swella meint einen tragenden Balken, swelli kann Türschwelle bedeuten, Fußgestell oder Sockel. Das mhd. swellen bedeutet stauen, hemmen und ist Urform von "schwellen". Die stauende Schwelle (mhd. Swelle) bringt Wasser zum Anschwellen, ist aber als begrenzende Hemmschwelle zugleich selbst das Hervorgehobene. Vermutlich besteht auch (über *suel-) eine etymologische Verbindung zwischen Schwelle (als Grenze) und Säule (als Erhebung).

In Platons Nomoi ist die Rede vom Ζευς ‘ó ριος (842e), vom "grenzhüterischen Zeus" (Platon 1989, 208), dem als erstes Gesetz geweiht sei: niemand dürfe wissentlich einen Grenzstein verrücken. Die Grenze ist von jeher Heiliges und Heiligstes, von jeher gilt ihr erhöhte Wachsamkeit (Erregung), von jeher ist sie undenkbar ohne besondere Wächter und Hüter, und der höchste Gott der Griechen gilt auch als Schutzgott der Grenze, der das Antasten des Unantastbaren, die Verrückung des Sakrosankten verhindern soll: Grenzverletzung ist auch Frevel gegen das Göttliche. Und das eigentlich Unantastbare und Sakrosankte an der Grenze ist zunächst der sichtbar emporragende Grenzstein, die Grenzmarkierung als Erhebung und Erregung des zuvor Unimorphen, eine Erektion, die Horror – Rauheitmorphologisch produziert. Das Aufragen der Grenzmarkierung ist zugleich aber auch das reale Symbol der psychischen Erfahrung Grenze. Die Grenze ist Erregung (der morphé) und bewirkt Erregung (der psyché).

Für das Wort Horror gibt es in den lateinischen Texten drei Sinnkategorien: es beschreibt morphologisch Erregungszustände äußerer Formen und Formationen; es bezeichnet den Horrorschauer als physisches Phänomen (Aufrichten der Haare), es vermeldet psychologisch den extremen Erregungszustand der inneren Form – Horror als "innere Unebenheit". Im Grunde besteht aber jedes Horror-Erlebnis in Durchdringung dieser drei Ebenen, und was diese ständige Durchdringung bewirkt, ist das Phänomen oder die Erfahrung Grenze. Was den Horrorschauer auslöst, ist stets eine Art von "Rauheit" in der Wahrnehmung, eine "Erektion" des Seins, Erhebung und Erregung des "Natürlichen", ein plötzliches aufregendes Aufragen im Begegnenden, das den Charakter einer Grenzmarkierung hat. Es ist eine empfundene, erlebte Grenze, die Horror auslöst; etwas, das sich in Wahrnehmung und Bewußtsein bedrohlich aufrichtet, unabhängig davon, wie sichtbar, präsent oder existent es tatsächlich ist. Der physische Horror – der Schauder – veräußerlicht den Erregungszustand der inneren Form, der wiederum durch eine Art von "Seinserregung" evoziert ist: in der Begegnung mit dieser "an-schwellenden" Rauheit im Erlebnisfeld wird eine Grenze zugleich fühlbar und bedroht, an dieser Grenze kommt es zum "Erstarrtsein in höchster Aufregung", zum Zugleich von Attraktion und Repulsion, von Faszination und Fluchtimpuls.

Tatsächlich bedeutet ὅρος  ursprünglich das sichtbar Aufragende und Aufgerichtete: Grenzstein, Grenzzeichen, Grenzpfahl, Grenzsäule, Grenzstelen an heiligem Gebiet, Marksteine auf gepfändetem Land. J.H.H. Schmidt zufolge ist die anschaulich emporragende Grenzmarkierung als sinnliche Urbedeutung von ὅρος  zu verstehen: bei Homer findet sich οὔρος "in der Bedeutung eines Grenzsteines, in der nachhomerischen Sprache ὅρος in der Bedeutung Grenze, und zwar immer mit der Anschauung, nicht dass hiermit alles zu ende sei (...) sondern dass dahinter noch ein anderes Gebiet beginne." (Schmidt 1969, 507 ff.). 

ὅρος beschreibt nichts, über das man nicht hinausgehen könnte, sondern setzt ein Anderes, Jenseitiges, warnt also vor der Überschreitung, dem Übertritt in das fremde Gebiet. Dieser warnende Charakter der Grenzmarkierung verbindet den Grenzübertritt mit gesteigerter Erregung, die sich zumal dann als Horror zeigt, wenn die Grenzsetzung ein Heiligtum, ein geweihtes Areal abtrennt, wie etwa durch die Ableitung ρίζειν beschrieben, die dem religiösen Charakter der Grenzziehung galt, genauer dem Gott, "dessen Cultus man dadurch einführt, dass man ihm einen Bezirk absteckt und weiht" (Passow 1852, 525).

Während bei πέρας ein Endpunkt existiert, über den es kein Hinaus gibt, impliziert das durch ὅρος Bestimmte stets ein durch Bestimmung mitbestimmtes Anderes. Entsprechend bedeutete ὅρος später auch Definition (als Grenze eines Begriffes), ebenso Termin (als zeitliche Grenze); ὅρος grenzt ab in Diesseits und Jenseits.

Das Wort horrere geht, wie gesehen, zurück auf das altindische hársate bzw. hrsyati; das "etymologische Atom" dieser Bildungen ist die indogermanische Silbe gher- bzw. ĝher- , in der sich drei für den Horror-Kontext relevante Bedeutungsfelder auffinden lassen. Erstens:

"gher-, ghrē: ghrō (...) 'hervorstechen', von Pflanzentrieben oder -stacheln, Borsten, von Erderhebungen, Kanten usw. (...)" (Pokorny 1959, 440). Zu diesem Bedeutungsfeld, mit dem nach Pokorny horrere alliiert ist, gehört nun auch: "(...) slav. granj 'scharfe Ecke, Kante', z.B. in russ. granj f. 'Grenze; Markstein; Facette' (...)" (ebd.).

Die Erscheinung Grenze gehört also zur gher-Gruppe "hervorstechen, starren", die wiederum zu horrere führt. "Grenze" ist eines der wenigen Worte, die das Deutsche aus dem Slawischen übernommen hat: das mittelhochdeutsche graniza, graenizen, greniz stammt vom altpolnischen granica/granca, "Grenzzeichen, Grenzlinie". "Grenze" schrieb sich früher "Gränze", was die Nähe zur Granne offenbart:

"Granne f. 'borstenartige Spitze an Ähren, Gräsern', ahd. grana 'Barthaar, Schnurrbart' (8.Jhd.), mhd. gran(e) 'Spitze eines Haares, Barthaar, stachliges Haar, Ährenborste, Gräte', aengl. granu 'Schnurrbart', anord. gron 'Barthaar, Schnurrbart', auch 'Tanne' (eigentl. 'Nadel') sind verwandt mit den slaw. Formen aruss. granjъ 'Grenze, Grenzlinie', russ. gran‘ (гранъ) 'Grenze, Markstein, Abschnitt', tsch. hrana 'Grenze, Ecke'. apoln.poln. gran 'Ecke, Winkel, Grenze' (aus dessen Ableitung nhd. Grenze entlehnt ist). Sie alle führen (...) auf die Formen (...) der Wurzel ie. *gher-  'hervorstechen' (von Pflanzentrieben, Stacheln, Borsten, Erderhebungen, Kanten) (...)" (Pfeifer 1989, 595).

Das Wort horrere gilt bei den klassischen Autoren häufig dem Starren von Bart- oder Haupthaar oder beschreibt Phänomene wie das Emporstarren von Lanzenspitzen. Die ursprüngliche Bedeutung des russischen грань (Grenze) ist "wohl Spitze" (Vasmer 1953, 304) bzw. Spitze, spitzes Ende, spitzer Auslauf (vgl. Cyganenko 1970, 111 ff.).

Es bestätigt sich also durch die Urverwandtschaft von "Grenze" und "Spitze", wie die Grenze ursprünglich durch die aufgerichtete Grenzmarkierung repräsentiert wurde, durch eine Form der Erektion, die mit dem Symptom oder Phänomen Horror eng verwandt ist: es ließe sich auf psychologischer Ebene aber auch grundsätzlich vom Hervorstechen der Grenze sprechen. Umgekehrt gilt: an eine Grenze stößt, was auf die Spitze getrieben wird.

Ein zweiter Bedeutungskreis von gher- / ĝher- lautet:

"ĝher- 'greifen, fassen, umfassen, einfassen'; erweitert ĝher-dh (s.unten) : ĝhor-to-s 'eingezäunter Ort'. (...) gr. χóρτος m. 'eingelegter Platz, Hof, Weideplatz'; unsicher, ob hierher χορóς  'Tanzplatz, Chortanz' als ursprüngl. 'eingehegter Platz' (...) ĝherdh- und gherdh-  'umfassen, umzäunen, umgürten' (...) lat. hortus (...) Erweiterung von *ĝher- 'fassen'; ghordho-s 'Gehege' (...)“ (Pokorny 1959, 442 ff.).

Bezeichnet sind Akte des Einfassens und Einzäunens, also Akte des Abgrenzens. Wie die Grenzziehung an sich heiliger Akt ist, so gilt sie dem heiligen Ort und läßt den heiligen Raum entstehen: χóρτος meinte auch den abgegrenzten Platz um den Opferaltar. Neben dem unmittelbaren Zusammenhang von Horror und dem aufragend-hervorstechenden Charakter der Grenze gibt es einen ebenso unmittelbaren Zusammenhang von Horror und dem abgegrenzten heiligen Bezirk. Ein schönes Symbol dafür ist der von Horaz horridus (hier: struppig, stachelig, 'gestrüppig') genannte altitalische Waldgott Silvanus, der zugleich ein Grenzgott ist ('tutor finium', Epoden 2,22), ein Beschützer der Felder und der Grundstücksgrenzen. Silvanus genoß immense Verehrung: jedes Grundstück besaß einen eigenen Silvanus domesticus, und Kaiser Hadrian gab ein Medaillon heraus, das Silvanus beim Betreten eines heiligen Bezirkes (mit Tempel und Altarfeuer) zeigt.

Ein abgegrenzter Bezirk ist auch das horreum: die Etymologie des dem horror so verwandt scheinenden Wortes für "Vorratskammer, Scheune, Magazin, steinerner Speicher" gilt als "unbekannt" (Walde/Hofmann 1965, 659 ff.). Aber nach dem sakral abgegrenzten Raum ist die Vorratskammer in alter Zeit der heilige Raum schlechthin; so sehr, daß im alten Ägypten die Katze ihre Verehrung als heiliges Tier nicht zuletzt dadurch errang, daß sie die Kornvorräte gegen Mäuse und Schädlinge schützte und sogar darauf dressiert war, menschliche Diebe anzuspringen. Der japanische Ise-Schrein, das wichtigste Heiligtum des Shintoismus, ist ein Tempel, dessen Urform "eine einfache Waldhütte ist, der Getreidespeicher, das Zentrum einer agrarischen Gesellschaft. Der höhergelegene Fußboden sollte das Getreide vor Feuchtigkeit und Ratten schützen" (Paglia 1993, 155). Das lateinische Wort für den Getreidespeicher, horreum, verweist - wie das Wort horror - auf eine heilige Grenze. Dem würde entsprechen, daß Saturn im archaischen Rom sowohl als Wächter des aerarium, des Staatsschatzes, als auch des Aufgangs zum Jupiter Capitolinus, dem wichtigsten römischen Tempel galt, also ein Hüter von Schwelle, Grenze und Durchgang zum Heiligen war [1]; daß Saturnus aber, bevor er Kronos gleichgesetzt wurde, Varro zufolge ein altitalischer Gott der Aussaat und des Ackerbaus gewesen sein soll, mit Sichel (Erntegerät) dargestellt (und das Verb horrere auch die emporstarrende Saat bezeichnen konnte).

Was bedeutet nun der auf verborgenen Wegen der Sprache plötzlich so unmittelbar erscheinende  Zusammenhang der Worte horror und ὅρος für den Schrecken, der die Haare sträubt? Zum einen betont er die Korrespondenz jener äußeren "Erhebung" und "Seinserregung", die als Grenze wahrgenommen wird, mit einer physiologischen Reaktion der Aufrichtung ebenso wie mit extremer "psychischer Unebenheit"; zum anderen ließe sich aber auch sagen, daß der Schauer der "Gänsehaut" im Horror nur das Sekundärphänomen ist – gegenüber dem Erleben von "Grenzhaftigkeit".

James B. Twitchell stellt von der "rippling sensation" des Horrors fest, sie habe "self-defense as its biological purpose" (Twitchell 1987, 42). Gewiß ist die menschliche "Gänsehaut" des Horrors ein Rudiment tierischen Abwehrverhaltens, des Aufstellens von Fell oder Stacheln zum Schutz gegen eine plötzliche Bedrohung. Aber diese Reaktion wäre überflüssig, wenn nicht schon irgend etwas bewirkt hätte, daß das betreffende Lebewesen erstarrt ist. Irgendeine Art von Grenz-Erlebnis friert das Lebewesen ein, unterbricht seine Bewegung, wirkt intermittierend in seinen Lebensabläufen. Primär ist dieses Starrwerden, das ein Erstarren vor etwas ist; aus dieser Erstarrung entlädt sich der Schauer, und dieses Etwas hat den Charakter einer Grenze. Der Löwe begrenzt die freie Entfaltung der Hyäne, die Spinne begrenzt die freie Entfaltung des Phobikers.

Horror ist die abrupte Unterbrechung jeder Fort-Bewegung, zugleich aber auf ein Höchstmaß intensivierte innere Bewegung. Die Spinne ist die "ontologische Rauheit" in der Wahrnehmung des Phobikers, das aufgerichtete Grenzzeichen, die Erregung im zuvor Unimorphen, die Erhebung im "Normalen" und "Natürlichen", die ihn stocken, erstarren und zurückprallen läßt. Dann erst sträuben sich ihm die Haare vor dem Bedrohlichen, Anderen, Fremden, Unheimlichen. Horror entsteht also an der Grenze, auf der Grenze und durch die Grenze: Horror zu thematisieren heißt die Grenze zu thematisieren.

Aber der Horror auf der Stelle ist auch Horror auf der Schwelle, und es gibt noch eine dritte für diesen Zustand relevante Bedeutungsebene der Silbe gher-/ĝher-, die ursprünglich "eine heftige Gemütsbewegung überhaupt" (Walde/Hofmann 1965, 658) bezeichnete, nämlich:

"ĝher- 'begehren, gern haben' (...) Ai. háryati 'findet Gefallen, begehrt'; av. zara- m. 'Streben, Ziel'; gr. χαίρω (...) 'sich freuen' (...) χάρμα n. 'Freude, Vergnügen' (...) lat. horior,-iri 'antreiben, ermuntern' (...) Air. gor 'fromm', goire 'Frömmigkeit, Pietät' (...) ahd. ger 'begehrend', gerōn 'begehren' (...)" (Pokorny 1959, 440 ff.)

Hier bezeichnet die Silbe also angetriebenes, ermuntertes, in Streben übergehendes Begehren, und strebendes Begehren ist auch Aufrichtung, Erreichenwollen, Erektion (Eros als In-die-Höhe-Bringer, der Aufregen und Aufragen in eins setzt). Begehren ist Überschreitung, und Überschreitung gibt es erst, wenn eine Grenze fühlbar ist. Es gibt Begehren, weil es eine Grenze gibt, die Grenze zum Anderen, Begehrten. Und diese ĝher-Komponente ist in ihren Ableitungen auf bemerkenswerte Weise aufgeladen mit der den Horror konstituierenden Ambivalenz. Wie in der Typologie gezeigt, beschreibt das lateinische Wort horror zuvorderst den ehrfürchtigen Schrecken, das Erschauern vor dem Numinosen, die heilige Scheu, wie sie durch die ĝher-Ableitungen "fromm", "Frömmigkeit" angedeutet wird. Die religiöse Ehrfurcht steht – oder besteht - in der Ambivalenz der expandierenden Bewegung des Begehrens/Erreichenwollens und der hemmenden schreckhaften Erstarrung, und diese Ambivalenz wird ausgelöst durch ein spezifisches Grenz-Erlebnis.

Die hier betrachteten Dimensionen der indogermanischen Silbe gher-/ĝher-, auf die sich (über hársate/hrsyati) sowohl das Wort horror als auch die Erscheinung Grenze zurückführen lassen, nämlich: a) Begehren; b) Hervorstechen, Aufragen, von der Granne bis zur Grenze (bzw. ihren Markierungen); sowie c) abgegrenzter Raum, verweisen auf einen im Zustand Horror wirksamen Zusammenhang von Erhebung - begehrender, aber gehemmter Erregung - Begrenzung.

Von Anfang an also ist der psychophysische Erregungszustand Horror verbunden mit Ambivalenz und mit der Erfahrung einer Grenze: als Grenzerfahrung am Anderen, Fremden, Unheimlichen, Bedrohlichen; an einer empfundenen Grenze (etwa zum Numinosen, Übernatürlichen oder "Nicht-Natürlichen"), an einer konkreten Grenze (etwa zum heiligen, abgegrenzten Raum), oder an einer konkreten Grenze, die über Gebühr empfunden wird (die Spinne für den Phobiker).

Wohl die früheste rein menschliche Grenzerfahrung, die Horror auslöst, ist das Erschauern vor dem Numinosen, das ehrfürchtige Zurückschrecken vor dem Heiligen, die konsternierte Erregung auf der Schwelle zwischen "natürlich" und "übernatürlich", der Grenzgang zwischen Zurückweichen und fasziniertem, begehrendem Übertreten. Sehr früh lagert sich in die Sprache der ursprüngliche Bezug des Horrors auch zum heiligen Raum ein. Der Zustand Horror als Grenzerfahrung am numinos erlebten und abgegrenzten Bezirk führt zu Abgrenzung des Heiligen als einem - dem - genuinen Akt der Strukturierung menschlicher "Welt" überhaupt.

Horror läßt sich also zunächst beschreiben als Grenzerfahrung, als Begegnung an einer Grenze – mit dem, was durch seine Andersheit und Fremdheit bedroht, das verändernd und entfremdend wirken könnte, käme es zu der Zufügung, die durch diesen Einfluß, diesen Eindruck, diese konkrete Gefahr droht; der Horrorschauer, scheinbar eine Abwehrreaktion, enthält auch eine Komponente der begehrenden Hinwendung, und auf psychologischer Ebene gibt es eine analoge Ambivalenz. Bei einer Hyäne gilt die Fixierung und extreme Hinwendung auf den Löwen lediglich der drohenden Gefahr; erst im menschlichen Horror entfaltet diese Seite der Ambivalenz sich auch als begehrende Faszination. Für Hyäne wie Mensch gilt, daß Horror der eingefrorene Moment zwischen Hinwendung und Flucht ist. Etwas bedroht oder überschreitet im Zustand Horror die Grenze, die souveräne und "gesicherte" Wahrnehmung gewährleistet - oder aber der Wahrnehmungsvollzug begibt sich an die Grenze, hinter welcher die Realität oder die Einbildungskraft eine Zufügung bereithält, die einen Reflex der Repulsion ebenso provoziert wie die Lust, sich dieser Zufügung auszuliefern. Horror macht immobil, weil er aus kontradiktorischen Affekten besteht - Repulsion und Attraktion –, und weil das Bedrohliche zugleich etwas Verführerisches hat. Der Schrecken, der die Haare sträubt, erregt auf so ambivalente Weise, daß sich in ihm zuweilen auch noch anderes erhebt; von der sexuellen Erregung im Zusammenhang mit Furcht, Angst und Horror wird noch zu reden sein.

Im Altindischen gibt es Worte, die mit horror wie mit ὅρος über die genannten Verbindungen etymologisch wie semantisch korrespondieren, so ghoratā, "Schrecklichkeit / horribleness" (Mayrhofer 1956, 362) und ghoráh, "grausig, schrecklich, ehrfurchtgebietend / dreadful, horrible, awe-inspiring" (ebd.), bzw. "furchtbar, grausam, böse (...) unheimliche Gewalt, Zaubermacht" (Walde 1930, 636). Das attische òρρωδέω entspricht dem lateinischen horrere in der Bedeutung von fürchten, scheuen, schaudern; òρρωδία bedeutet Schrecken. Griechisches Pendant zum Horror ist φρίξ bzw. φρίκη; φρίσσω mit den Bedeutungen "1. Rauh oder starr sein, starren, emporstarren, emporstehen, sich emporsträuben (...) 2. (vor Kälte) schaudern, zusammenschauern (...) übertr. (vor Furcht) starr werden, schaudern, erschrecken, sich entsetzen" (Menge/Güthling 1910, 613) entspricht dem lateinischen horrere und kehrt wieder im französischen frissoner. Der frisson betont die physiologische Komponente, während horreur die psychologische Bandbreite des Horrors wiedergibt und ins Repulsive wendet: Grauen, Entsetzen, Abscheu, Greuel, das Schauerliche, Gräßliche. Das englische to bristle geht auf φρίσσω zurück, dessen indogermanische Wurzel wiederum die Grundsilbe bher- ist; "emporstehn, Kante, Borste" (Walde 1927, 201) bzw. "hervorstehn, eine Spitze oder scharfe Kante bilden; Kante, Ecke, Spitze" (Walde 1927, 162), ähnlich der Silbe gher-, die zum Phänomen Grenze leitet.

Für Pokorny unsicher, für Walde hingegen gesichert (Walde 1930, 603) ist der Anschluß von χορóς, Tanzplatz, Chortanz, als ursprünglich "eingehegter Platz" an ĝher- "greifen, fassen, umfassen, einfassen"; die etymologische Diskussion kreist letztlich darum, ob nun "Reigentanz" oder "Tanzplatz" die ursprüngliche Bedeutung von χορóς sei (vgl. Frisk 1970, 1112 ff.) Ein Streit um des Kaisers Bart, Tanzplatz und Reigen lassen sich nicht voneinander trennen, wenn mit dem Reigentanz der Tanzplatz entsteht, in ursprünglicher Einheit: durch χορενειν, Bilden des Reigens, Fassen der Hände, entsteht "Einfassung", der Tanzplatz, abgegrenzter Raum. Will sagen: bestimmte Arten von Erregung akzentuieren den Raum. Auch der Zusammenhang von Grenze und Horror bedeutet Strukturierung des Raums.














Literatur
Cyganenko, C. P.: Etimologičeskij slovar‘ russkogo jazyka, Kiev 1970.
Ernout, A. / Meillet, A.: Dictionnaire Etymologique de la Langue Latine, Paris 1959 (-60).
Frisk, H.: Griechisches etymologisches Wörterbuch, Band II, Heidelberg 1970.
Georges, H. / Georges, K. E.: Ausführliches Lateinisch-Deutsches Wörterbuch (10. Aufl.), 
Erster Band, Hannover 1959.
Grassmann, H.: Wörterbuch zum Rig-Veda, Leipzig 1873.
Horaz: Oden und Epoden, Zürich und München 1981.
Lewis, C. T. / Short, C.: A Latin Dictionary, Oxford 1962 (First Ed. 1879).
Mayrhofer, M.: Kurzgefaßtes etymologisches Wörterbuch des Altindischen, Band I, Heidelberg 1956.
Mayrhofer, M.: Kurzgefaßtes etymologisches Wörterbuch des Altindischen, Band III, Heidelberg 1976.
Menge, H. / Güthling, O.: Griechisch-Deutsches und Deutsch-Griechisches Hand- und Schulwörterbuch, Teil I, (Griechisch-Deutsch) 
von H. Menge, Berlin 1910.
Novalis, Die Enzyklopädie, VI. Abteilung, in: Briefe und Werke, Dritter Band, Die Fragmente, Berlin 1943.
Paglia, Camille: Der Krieg der Geschlechter. Sex, Kunst und Medienkultur, Berlin 1993.
Passow, F.: Handwörterbuch der Griechischen Sprache, Zweiter Band, Erste Abteilung, Leipzig 1852.
Pfeifer, W. (als Leiter eines "Autorenkollektivs"): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, A-G, Ostberlin 1989.
Platon: Sämtliche Werke 6, Hamburg 1989.
Pokorny, J.: Indogermanisches Etymologisches Wörterbuch, Band 1/1, Bern und München 1959.
Schmidt, J. H. H.: Synonymik der Griechischen Sprache, Vierter Band, Amsterdam 1969 (Erste Aufl. 1886).
Turner, R. L.: A Comparative Dictionary of the Indo-Arian Languages, London 1966.
Twitchell, James B.: Forbidden Partners: The Incest Taboo in Modern Culture, New York 1987.
Vasmer, M.: Russisches etymologisches Wörterbuch, Erster Band, Heidelberg 1953.
Walde, A.: Vergleichendes Wörterbuch der Indogermanischen Sprachen, 1. Band, hrsg. u. bearb. v. J. Pokorny, Berlin und Leipzig 1930.
Walde, A.: Vergleichendes Wörterbuch der Indogermanischen Sprachen, 2. Band, hrsg. u. bearb. v. J. Pokorny, Berlin und Leipzig 1927.
Walde, A. (bearb. Hofmann, J. B.): Lateinisches etymologisches Wörterbuch (4. Aufl.), Erster Band, Heidelberg 1965.




[1] Das Janusheiligtum repräsentierte als sakrale Konzentration alle Türen und Tore Roms. Der doppelgesichtige Janus war der Gott und Wächter des Durchgangs (der Name Janus hängt zusammen mit der lateinischen Bezeichnung der Tür, ianua.). Saturnus wurde schon in den Liedern der bis in das früheste Rom zurückreichenden Tanzpriesterschaft der Salii verehrt; der Sage nach ist Saturnus von Janus an der Stätte des späteren Rom aufgenommen worden. Janus und Saturnus sind custodes der Tür und der Schwelle.
















Donnerstag, 26. Mai 2011

Claudio Caniggia und der rechtsfreie Raum







SPIEGEL ONLINE Forum, 2009






harm ritter:
Ich hätte ja eine schöne Idee: Wir erklären alle mal, was abseits ist!







Nein, Cesar Luis Menotti erklärt mal, was rechter und linker Fußball ist.
"Menotti haßt die Rechten und den Fußball, den sie spielen. 'Beim rechten Fußball wird viel von Opfern und Arbeit geredet. Er wirft den Blick nur auf das Resultat, er degradiert die Spieler zu Söldnern des Punktgewinns', sagt er. 'Der linke Fußball feiert die Intelligenz, er schaut auf die Mittel, mit denen das Ziel erreicht wird; er fördert die Fantasie, er möchte ein Fest feiern.'"







ray05:
Jaja, etwas ZU schnell, aber: DAS IS'N ALTER HUT! Lechts und rinks gibt's weder beim Fußball noch in der Kunst - es zählt nur ...







... das Vulgobrötchen, schon klar. Man hat auch früh einen gewissen Skeptizismus gelernt. Wenn ich als linker Läufer auf so einen Gegenspielerknirps zulief, rief unser Trainer immer gern rein: "Weiter! Der kann nix!" Und da kam man dann, den Ball am Fuß klebend, ins Grübeln. Was sind das eigentlich für Zuschreibungen, dachte ich. "Zweifel kommen Ihnen wohl nie, was? Mal Descartes gelesen?" So ähnlich endete meine Fußballerkarriere.







ray05:
Linker Läufer? Ich dachte, Du bist erst hundert ... :)
War auch im linken Mittelfeld und allen Verteiderpositionen - da kam allerdings ständig der Spruch von aussen: PACK IHN ENDLICH! DER ATMET NOCH! Da dachte ich mir: Klar, mach ich ...










Caniggia. Mein Top-Hero. Ich glaube, ich kenne alle Argentinierinnen der Stadt, weil ich von denen immer angesprochen werde, wenn ich mein AFA-Shirt trage. Mein Weg zu Jorge Luis Borges führte über Mario Kempes und Claudio Caniggia.










ray05: 
Nun gut, hier ein Tribute to whom it may concern, er hat ein hellblau-weisses Shirt an. Auf dass die Dinge immer in Fluss bleiben ... :)












Würde ich nicht einen Ray von so erlesenem Geschmack kennen, ich lebte dumm wie Brot.
Halten wir die Albiceleste-Geschichte im Fluß! : Schwalbe ist legitim, weil man ja überlegen war? Das ist ein ähnliches Rechtsempfinden wie das der Dame in dem "Chicago"-Clip, die erklärt: "I fired two warning shots into his head." :)
Strafe muß sein, trotz allem: ich verhänge einstweilige Entführung ins Argentinien der 1930er.










ray05:
Dort liesse es sich im Zweifel auch lebenslänglich aushalten ... erbitte also Haftverlängerung ...
Warnschüsse in den Kopf; das ist es doch: Tango bedeutet nicht bloß bedürftiger rechtsfreier Raum, sondern rechtloser Naturzustand. Wieviele Knochenbrecher haben die Hellblauen nicht schon aufgeboten, um Europäern und Brasilianern die Wahrheit ins Gesicht zu grätschen ... :)








 
Hast ja recht, Brüderchen: auch Barca steigt nur gelegentlich aus den Himmeln der Potentialität und vergeigt dann im nächsten Spiel gegen Kitten Natividad. – Aber, verwechselst Du, was die Wahrheitsgrätsche angeht, nicht die Albiceleste mit den Urus? Wobei die sich ihren Ruf als Knochenbrecher auch zu Zeiten erarbeiteten, als man noch nicht wußte, ob mit "Das Runde muß ins Eckige" Uwe Seelers Kopf gemeint war. Heute würden die Killer von damals doch "Mädchen" geschimpft.
Und da sind wir wieder beim Thema: der faszinierendste rechtsfreie Raum, schon für die Bebilderung dieser Erkenntnis muß man dem Film Noir dankbar sein, ist die Schönheit. Und darum jetzt nicht Carlos Gardel, der in Argentinien immer noch gleich hinter Maradona und Menotti kommt, sondern... uh...
 










Brieli: 
Außerdem würde vielleicht der "Name" Argentinien fehlen. Der argentinische Fußball fehlt aber keinem. 







Und wie ich die vermissen würde. Immer für ein Spektakel gut. 










ray05: 
Die TV-Berichte aus dem argentinischen Mannschaftsquartier würde ich auch vermissen. Herrlich: Rudelweise Boca-Bodyguards. Unfassbar blonde Spielerbräute in Albicelesteshirts, die sich in Fußballerbeine einhaken ... :)







Ich glaube, Du multiplizierst da im Geiste die Szene mit Claudio Caniggia und seiner Freundin im Stadiontunnel. :) 
















Freitag, 20. Mai 2011

Vorweihnacht mit Cured Catherine (1): Psychoanalyse des Milchreis-Es













 
 
 
 
Willkommen bei MySpace, Herr Erdmann.



 
 
 
 
 
 
"Später verließ ich das Kasino mit einhundertsiebzig Gulden in meiner Tasche." (Fjodor Dostojewskij). Wo bitte läuft denn die Muppets-Show?



 
 
 
 
 
 
Well, well, well, mir war, als würde in der entfernteren Nachbarschaft schon mit Pfeffernüssen geworfen... Nun ja, die Herzen Sterne Brezel-Fraktion bekennt: im September sind sie am besten - im Dezember sind sie ausverkauft.
Ich habe den deutschen Fernsehstationen übrigens verboten, die Muppets Show zu wiederholen. Wo kämen wir denn da hin, wenn bestens inszenierte, noch dazu amerikanische Puppenspielerei dem hiesigen Kulturverfall entgegenwirkte. Ich bitte Sie!










Herzen Sterne Tannebäumchen aus Metall hab ich auch, aber in der Küche kann ich einfach nicht die Form wahren, kürzlich habe ich in einem Kochtopf ein Plastiksieb geschmolzen... falsche Herdplatte. Sie wissen ja, Madame, auf welch Weise Schmalhans küchenmeistert – "Was gibt's heut?" – "Angebrannten Kochlöffel." Mit einem Jochlöffel läßt sich auch gut scheffeln und dann das Jochzeug so über die eigene Birne Helene gießen, mh mjam. Die Bestigkeit von Pfeffernüssen im September kam mir auch schon zu Ohren. Dumm, daß ich erst im Oktober eingestiegen bin. Wie ich höre, waren die Himbeeren dieses Jahr wieder ganz besonders frech.
Über Muppets-Shows kein Wort weiter, sonst empöre ich mich. Hoffe, das Wohlbefinden befindet sich irgendwo,
The Aljoscha of Idiots










Also, wenn wir schon aus dem Küchenkästchen plaudern, berichte ich Ihnen gern etwas zur Psychoanalyse des Milchreis (ääh... Milchreises, äähh, hä?). Also Milchreis eben, neben zu bulimischen Attacken neigenden Tomaten ein weiterer neurotischer Klient meiner Küchenpraxis. Beziehungsabbrüche führen hier zu schweren Traumata mit ausgeprägter autoaggressiver Neigung. Füllt man als Therapeut aber die Elternrolle in ausreichendem Maße aus und redet dem Klienten während der Latenzphase gut zu, erreicht man unter Verwendung eines intakten Kochlöffels zumeist eine Abspaltung der regressiven Neurose und stabilisiert die Beziehung. Aber das muss man auch erst mal wissen. Übrigens plädiere ich für das Verbot von nächtlichem "Jakob"-Rufen am Klosterstern. Man kann nicht alles durchgehen lassen. Bitte unterschreiben Sie die Petition, Monsieur! 










Erkenntnisse von bemerkenswerter Tragweite, Madame. Bei der Milchreisdiagnostik scheint mir die Konversionshysterie der Milch das dringlichste Problem, die lange Zeit Symptome des Verhaltens aufweist, das Charcot "la belle indifférence des hystériques" nannte, bis unterdrückte Affekte sich in völliger Ichveränderung äußern, während welcher ich indes zumeist schon aus Langeweile in den Nebenraum gewandert bin. Versuchsreihen ergaben zwar, daß sich Erinnerungsspuren mit einem Glitzischwamm tilgen lassen, aber nur jenseits des Lustprinzips. Bitte schlagen Sie doch mal nach, wie Landauer zur Libidobeziehung mit dem Gebrannte-Mandeln-Sahne-Joghurt von Zott steht. Lustschreie hinter Klostermauern sind Diderot zufolge gar nicht mal so unüblich, Madame, und bevor ich die Petition unterzeichne, muß ich herausfinden, ob ich Royalist oder Jakobiner bin.










Sag ich ja, sag ich ja. Ich ging sogar soweit, die erwähnte Langeweile mit einer erfrischenden Dusche totzuschlagen. Selbiges widerfuhr hernach dem Kochtopf.
Ich schlage gern für Sie nach, auch bei Landauer, jedoch erscheint mir zur Deutung einer Libidobeziehung zu an sich frigidem Joghurt, der zu Sublimierungszwecken mit Zuckerwarenbeimischung daherkommt, die erweiterte Gegenübertragung nach Ferenczi nicht unerheblich. Sollte es sich in diesem Fall um Sie selbst handeln, verweise ich auf Ihre offensichtlich ohnehin leidenschaftlichen Affekte bezüglich der alljährlichen Objektbeziehungsangebote zu Jesus Wiegenfest und weiterhin auf Jacques Lacan, der Folgendes postulierte: "Dem Begehren gegenüber steht das Genießen. Während das Begehren sein Objekt metonymisch wechselt und von der Entsagung des Begehrten lebt, gleicht das Genießen, die unmittelbare, 'idiotische' sexuelle Befriedigung, eher einem zähen Schleim [oder eben Joghurt (Anm. der Autorin)]. Das Genießen ist zugleich eine bestimmte Weise des Subjekts, seine Triebökonomie und damit sein Dasein zu organisieren." Sehen Sie? Alles in Butter... oder im Joghurt.

Hinter Klostermauern, Monsieur? Au contraire, sie standen VOR den Mauern! Ich muss Ihnen näher erläutern, welch wahrhaft empörende Szene sich unlängst zutrug: junge Damen, es könnten Studentinnen der Kunstgeschichte... aber wir wollen sachlich bleiben, junge Damen also versammelten sich zu später Stunde nah des heiligen St Benedikt und verursachten mit ihren plötzlichen "Jakob"-Rufen - und zwar just in dem Moment, als ich die Jungfern mit meinem treuen Fahrrad passierte – ein solches Getöse, dass ich zum einen entsetzlich erschrak und zum anderen fast einen Hörsturz davontrug. Was für ein Benehmen!? Meine Unmutsphantasien auf dem verbleibenden Nachhauseweg gingen hin zu feuerroten Verbotsschildern, die freundliche Stadtverwalter am Ort des Geschehens aufstellten und auf denen ein Querbalken durch eben den berufenen Jakob mit einer "Rufen in Hörweite untersagt"-Unterschrift prangte, womit ein solches Gebaren also zukünftig verboten wäre. Sollen sie doch rufen, aber nicht in meinem Beisein!










Ah, oho. Ich hingegen rettete erst kürzlich zwei Töpfe auf einmal vor ewiger Verdammnis, den einen mit einer langwierigen Prozedur des Restplastikschmelzens; der andere konterte boshaft meinen Stolz darauf, endlich beim Kartoffelschälen mehr zu produzieren als alberne Stempel, mit einer geradezu baudrillardsch zu nennenden Beschleunigung des Kochvorgangs, eventuell war mir auch nur meine Bergson'sche durée stehengeblieben, wie dem auch sei, es galt einen verkohlten Bodenbelag zu eliminieren.

In der Tat handelte es sich bei mir meistens um mich selbst, bis mir Lacan das idiotische Genießen weggeschlürft hat. Denn schließlich, wer sind ich? Kann das moi mit dem je einen Joghurt teilen? Hatte der Spiegelstadiumsspiegel einen Sprung oder ich?

Seltsame Dinge gehen vor. Schon hier und jetzt kann ich aber sagen, daß es sich meiner Einschätzung nach nicht um Kunstgeschichtsstudentinnen handelte. Die mir bekannten sind jedenfalls nie durch öffentlich-kollektives Jakobsgeschrei aufgefallen. Vielleicht die Nonnen von Loudon? Sie riefen einfach nur "Jakob"? Nicht "Bruder Jakob, schlürfst du noch?" oder irgendwas Identifizierbares? Ein einfaches nächtliches "Jakob"? Fragend oder fordernd? Man könnte anfangen, über diesen Jakob ins Grübeln zu kommen. Was führt der eigentlich für ein Lotterleben? Sagenhaft.










Und doch wage ich zu behaupten, dass wir im Grunde nicht ahnen, wozu perlenohrringtragende, hochwohlgeborene Damen im Schutz der Dunkelheit fähig sind.
 
Da Sie die Pinguinsprache beherrschen, sprechen Sie unter Verwendung dieser doch einmal mit der durée und bitten Sie sie in meinem Namen um etwas mehr Contenance. Und überhaupt, die Launenhaftigkeit, mit der die Zeit zu verrinnen scheint, geht mir auf den Wecker.
 
Unfassbar, dass in Madonnas Nachbarschaft Fahrräder entwendet werden. Das erhöhte Aufkommen von überdimensionalen Four Wheel Drive Jeeps in den schmalen Gassen meiner Kommune, vornehmlich übrigens von Müttern mit Kleinkindern gesteuert, lässt mich phantasieren, dass eines Tages Power Ranger kommen, um die Monsterfahrzeuge zu verschieben und das Lumpenproletariat zu rächen.










Und ob wir das ahnen. Im Traum versteht man 0 = 2. Warum eigentlich? Wenn Ihnen die Launenhaftigkeit der Zeit nun ausgerechnet auf den Wecker geht, ich brauche in der Früh übrigens dero zwei, wobei ich nie verstand, was Menschen im Frühtau zu Berge ziehn ließ, man ist noch nicht mal oben, schon ist man klamm, wobei ich aus Prinzip eher auf lumpenproletarische Weise klamm bin, und wenn dieses sich schon nicht mehr selbst rächt, und zwar mit Hyperpower, finden Sie übrigens "Year Zero" auch so großartig? Jetzt sagen Sie bitte nicht, zwei Wecker seien ein Zeichen von Dekadenz, noch dürfen Sie mich nicht Balzac nennen, dessen Fluchtwege aber überaus gewinnbringend zu studieren sind, Sie wissen schon.